Forschungs- und Innovationsprojekt
Urgetreide Binkel – Chancen für die Rekultivierung einer historischen Getreideart des Voralpen- und Alpenraums

Kurze und kompakte Ähren des Binkelweizens.

Binkelähren

Einführung

Der Binkelweizen (Triticum aestivum ssp. compactum), kurz Binkel genannt, ist eine eigenständige, alte Weizenunterart aus der Gattung "Triticum". Sie wird auch Zwerg-, Berg- oder Pfahlbauweizen bezeichnet, denn bei Ausgrabungen von jungsteinzeitlichen Pfahlbausiedlungen wurden Ähren und Ährenabdrücke gefunden, die den heutigen Binkel-Formen sehr ähneln. Die echten Binkelweizen sind mittellang, winterfest, die Ähre mit kleinen Körnern ist kurz und kompakt. Die formenreiche Gruppe der früher in Europa weitverbreiteten Binkel ist charakteristisch durch begrannte und unbegrannte Genotypen. Begrannte Formen werden oft auch als Igelweizen bezeichnet.

Logos der Projektpartner zur Rekultivierung des Binkels: Interreg, LfL, Biosphärenregion Berchtesgadener Land, Biospärenpark Salzburger Lungau und EUREGIO.

Projektziel

Das übergeordnete Ziel des Projekts ist es, die Verfügbarkeit von anbau- und verarbeitungsrelevanten Daten für eine Rekultivierung des Binkels in der EUREGIO Salzburg/Berchtesgadener Land/Traunstein zu generieren.

Die spezifischen Ziele sind wie folgt:

  • Definition und Identifikation von Binkel-Akzessionen
  • Agronomische Beschreibung und Bewertung der Binkel-Akzessionen durch einen Versuchsanbau
  • Ernährungs-, Verträglichkeits- und verarbeitungsrelevante Analyse der Inhaltsstoffe des Binkels zur Erhebung des zu erwartenden gesundheitlichen Mehrwerts
  • Sicherung eines ökologischen Anbaus der gefährdeten Kultursorte Binkel durch eine Bereitstellung von Informationen für Landwirte, Müller und Bäcker sowie Verbraucher zur Rekultivierung es Binkels
Binkelfeld im Salzburger Land

Versuchsanbau Binkel im Salzburger Land

Hintergrund des Projekts
Im Gebiet der EUREGIO Salzburg/Berchtesgadener Land/Traunstein und darüber hinaus wächst der Wunsch, ehemals bedeutende und bereits in Vergessenheit geratene Getreidearten "wiederzubeleben" und den Menschen regional produzierte, ökologisch nachhaltige und gesunde Produkte anzubieten. Eine ganz besondere Rarität, die in der Region einst weit verbreitet war, ist der Binkel, Triticum aestivum subsp. compactum, auch Zwergweizen oder Pfahlbauweizen genannt. Dieses "echte" Urgetreide ist nach Einkorn und Emmer die drittälteste Weizenform und wurde in einigen Salzburger Gebirgstälern bis in die 1950er Jahre angebaut, insbesondere im Lungau sowie im Chiemgau. Der Binkel ist ein Teil der Geschichte der Landwirtschaft in den Alpen und im Alpenvorland und wurde durch einen Rückgang der alpinen Landwirtschaft zum Teil durch den Tourismus und die Einführung moderner Sorten verdrängt.
Das EUREGIO-Interreg-Projekt
Wie von anderen alten Getreidearten wurden auch vom Binkel Proben in Genbanken aufbewahrt. Die Genbank Tirol und die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) haben Binkel-Akzessionen aus der Sammlung von Erwin Mayr und der Landesanstalt für Pflanzenzucht und Samenprüfung in Rinn bei Innsbruck im Rahmen der Erhaltung autochthoner landwirtschaftlicher Kulturpflanzen aus der Genbank geholt und wieder angebaut. Da der Binkel auf Grund seiner nur regionalen Bedeutung kaum züchterisch bearbeitet wurde, liegt die Vermutung nahe, dass der Binkel in Bezug auf ernährungs- und verträglichkeitsrelevante Inhaltstoffe ähnliche Vorteile aufweisen könnte wie andere "Urgetreide" (Einkorn, Emmer, Khorasanweizen) und deshalb beim Verbraucher im Zuge des aktuell steigenden Ernährungsbewusstseins auf großes Interesse stößt und zur regionalen Identifizierung im Grenzraum Bayern/Österreich beiträgt. Bis dato wurde nie eine Nützlichkeitsstudie zur Rekultivierung des Binkels durchgeführt.

Material und Methoden

Die Aktivitäten des Projekts wurden in verschiedene Arbeitspakete aufgeteilt, welche auf die Projektpartner aufgeteilt wurden und zum Teil durch externe Dienstleister durchgeführt werden sollten:

  • Agrarhistorische Recherche durch einen externen Dienstleister (externe Vergabe).
  • Versuchsanbau: Verfügbare Binkel-Akzessionen aus dem Erhaltungssortiment der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) und der Genbank Tirol werden auf Versuchsflächen der LfL in Ruhstorf a.d.Rott und der Genbank Tirol bei Innsbruck zur Beschreibung agronomischer Parameter wie Pflanzeneigenschaften, Krankheits- und Lageranfälligkeit sowie Ertragskomponenten in einem einfaktoriellen, randomisierten Versuch angebaut. An der Genbank Tirol werden für ausgewählte Binkel-Akzessionen aus dem Versuchsanbau das Tausendkorngewicht, hl-Gewicht, Siebungen und die Keimfähigkeit bestimmt.
  • Untersuchung der Backeigenschaften: das LfL-Backlabor untersucht die Akzessionen aus dem Versuchsanbau hinsichtlich ihrer Backeigenschaften.
  • Untersuchung ernährungs- und verträglichkeitsrelevanter Inhaltsstoffe (Amylasetrypsininhibitoren (ATI) Gehalt, Klebereiweißfraktionen (Glutenine und Gliadine), Vitamine) für ausgewählte Binkel-Akzessionen durch ein externes Labor.
  • Ausarbeitung von Marketinggrundlagen inkl. Erstellung eines Empfehlungsleitfadens für die Vermarktung durch einen externen Dienstleister (externe Vergabe).
  • Abschlussveranstaltung im UNESCO-Biosphärenpark Salzburger Lungau mit einer Präsentation der Projektergebnisse und Empfehlungen für Landwirte, Müller, Konsumenten.
Parzelle mit ausgesätem Alpinem Binkel aus Tirol.

Parzelle mit Alpinem Binkel aus Tirol

Feld mit Sommerweizen in Ruhstorf

Feld mit Sommerweizen in Ruhstorf

Ernte des Binkels in Tamsweg

Ernte des Binkels in Tamsweg

Ergebnisse

Agrarhistorische Recherche
Die Ergebnisse der agrarhistorischen Recherche, die von einem externen Dienstleister durchgeführt wurde, können aus juristischen Gründen noch nicht veröffentlicht werden. Einige Informationen zur Geschichte des Binkels wurden Anfang 2021 aber unabhängig davon im Internet bei Wikipedia veröffentlicht.
Des Weiteren wurde der "Echte Binkelweizen“ fast zeitgleich als Passagier in der Slow-Food-Arche des Geschmacks gelistet, auch hier finden sich relevante Informationen:

Echter Binkelweizen Slow Food Deutschland Externer Link

Versuchsanbau
In Ruhstorf und Imst wurden Anbauversuche mit Binkel-Akzessionen durchgeführt. Die beabsichtigte Anzahl an Binkel-Akzessionen (20) konnte jedoch nicht gefunden werden, in Ruhstorf wurden 13 angebaut, aus Mangel an Saatgut zum Teil nur in einer Wiederholung. Starkregenereignisse mit Sturmböen beeinflussten den Anbau negativ an beiden Standorten. Beim Versuch in Ruhstorf gingen durch die Witterungseinflüsse alle Akzessionen ins Lager. Die erste Wiederholung (W1) konnte noch in einem guten Zustand gedroschen werden, dann musste die Ernte auf Grund schlechter Wetterverhältnisse abgebrochen werden, die Ernte der zweiten und dritten Wiederholung (W2 und W3) konnte erst einige Wochen später durchgeführt werden, jedoch unter extrem schlechten Bedingungen (Lager, Ausfall und Auswuchs beim Getreide), was sich deutlich in den Erntedaten widerspiegelt, die statistisch nicht verwertbar sind (siehe Tab. 1).
Tab. 1: Erntedaten Binkel-Versuch Ruhstorf 2021: EUREGIO-Interreg-Binkel-Versuch, Saattermin 30. 3. 2021
AkzessionenIPK Akk.nr.Lager Bonitur
29. Jun 21
Lager Bonitur
08. Jul 21
Gewicht nach
Trocknung in kg
Wdh 1
Gewicht nach
Trocknung in kg
Wdh 2
Gewicht nach
Trocknung in kg
Wdh 3
Gewicht nach
Trocknung in kg
ø
Weihenstephan (Igelweizen?)TRI 253909,09,02,380,701,521,53
Gelber Igel Brandenburg TRI 853 / TRI 243278,38,33,011,552,082,21
Gelber Igel NRW TRI 853 / TRI 243276,34,33,141,791,832,25
Tiroler Mittelfrüher BinkelTRI 77695,03,32,541,260,861,55
Tiroler Früher BinkelTRI 77708,78,32,410,651,561,54
Tiroler begrannter BinkelweizenTRI 77715,35,02,561,061,181,60
OCB-BinkelTRI 77738,37,32,420,570,531,17
MB-BinkelTRI 77785,33,72,621,501,411,84
Alpiner Binkel TirolTRI 282345,55,02,821,242,03
Triticum aestivum L. var. creticumTRI 92376,03,00,490,49
Triticum aestivum L. var. lutescenscompactoidesTRI 86745,04,01,381,38
Triticum aestivum L. var. lutescenscompactoidesTRI 88576,03,00,540,54
Triticum aestivum L. var. milturocompactoidesTRI 88587,07,00,690,69
ø6,65,52,531,091,221,45
Untersuchung der Backeigenschaften
Neun Proben aus der ersten Wiederholung des Versuchs in Ruhstorf und eine Probe aus einem Feldanbau in Österreich wurden im Backlabor der LfL in Freising auf ihre Backqualität hin untersucht.
Tab. 2: Ergebnisse der Backqualität Untersuchung
 Wasser- Gehalt in %Roh- protein in TM in %Kru- men- Elasti- zitätFall- zahlTeig- Elasti- zitätTeig- Ober- flächeVol- umen in mlGlu- ten- IndexFeucht- kleber in %Ge- samt- kleber in %Sedi- menta- tions- wertAsche
MB-Binkel 12,718338122540n.b.n.b.n.b.240,740
Triticum aestivum
(TRI 8857)
12,324,6333111440n.b.n.b.n.b.170,950
Tiroler begrannter Binkelweizen12,520,6336022535n.b.n.b.n.b.270,948
Alpiner
Binkel
aus Tirol
12,619,9331922545n.b.n.b.n.b.300,885
Tiroler
früher Binkelweizen
12,220,7344222500n.b.n.b.n.b.300,871
Tiroler mittlfrüher Binkelweizen12,820,3341311450n.b.n.b.n.b.200,855
OCB Binkel12,519,434142149049,161,361,3310,938
Weihen-
stephan (Igelweizen)
12,416,934562256545,752,352,3290,518
Gelber Igel (NRW)12,915,034342255053,6744,944,9190,637
Salzburger Lungau11,215,434001143044,2040,540,5210,671
Freisinger Landweizen12,916,633563364057,9341,641,6310,594
n.b. = nicht bestimmt (konnte auf der Grund der Teigeigenschaften nicht bestimmt werden)
Das Fazit der Untersuchung aus dem Backlabor war, dass Binkelweizen trotz hoher Rohproteingehalte nicht die Eigenschaften klassischer Brotweizen besitzt. Teige aus Binkelweizen sind weich und meist feucht und schmierig und besitzen oft eine nachlassende Elastizität, was mit den Eigenschaften der Klebereiweiße zusammenhängt. Die Klebergehalte konnten deshalb im Backlabor auch nicht bestimmt werden.
Untersuchung ernährungs- und verträglichkeitsrelevanter Inhaltsstoffe
Es konnte leider kein Labor gefunden werden, welches eine Untersuchung der ATI und Klebereiweiß-Fraktionen durchführen konnte, teils auf Grund der technischen Möglichkeiten, teils auf Grund der administrativen Umstände. So wurde lediglich eine Bestimmung von Vitamingehalten in Auftrag gegeben. Hier konnte festgestellt werden, dass die Binkelweizen zum Teil deutlich höhere Vitamin-B- und -E-Gehalte hatten als eine moderne Sommerweizen-Vergleichssorte.
Ausarbeitung von Marketinggrundlagen inkl. Erstellung eines Empfehlungsleitfadens
Der Auftrag wurde durch Arno Todt vom nova-Institut in Hürth durchgeführt, der bereits mit dem AgroBioNet-Projekt "Wertschöpfung mit alten Sorten und Rassen" grundlegende Erfolgsfaktoren für deren Vermarktung zusammenstellte. Für den Binkelweizen schlug er Produktansätze unter dem Label "Berg-Binkelweizen" vor, um auf die besondere Stellung des Binkelweizens als Berggetreide hinzuweisen und auch um einen geographischen Fokus zu schaffen, um Produkte mit dem Tourismus in der Region zu verbinden, zum Beispiel Spezialbrote und Backwaren mit Obst von regionalen Streuobstwiesen, Lebkuchen (Wiederbelebung einer regionalen Backtradition), Müsliprodukte mit gesundheitlichen Mehrwert aus der (Vor-)Alpenregion, Backmischungen zum Selberbacken, aber auch Schnäpse und Brände.
Weitere wichtige Aspekte für eine erfolgreiche Vermarktung sind die Koordination und Vernetzung in der Region, eine Definition von Zielgruppen und Marktzugängen und die Kommunikation mit Medien, Verbrauchern und Besuchern.
Abschlussveranstaltung
Am 17. März 2022 wurden das Abschlusstreffen des Projekts in Tamsweg, Salzburger Land, erfolgreich als Hybridveranstaltung (Präsenz und Online) mit ca. 40 Teilnehmern durchgeführt und die oben genannten Ergebnisse im Detail präsentiert und diskutiert. Dabei waren neben den Vertretern der Projektpartner auch der Geschäftsführer der EUREGIO Salzburg/Berchtesgadener Land/Traunstein und verschiedene Akteure der Wertschöpfungskette. Eine umfangreiche Zusammenfassung der Veranstaltung mit einem Mitschnitt des Livestreams und allen Präsentationen findet sich auf der Internetseite des UNESCO-Biosphärenparks Salzburger Lungau:

EUREGIO-Projekt: Rekultivierung Urgetreide "Binkel" Externer Link

Projektpartner und institutionelle Zusammenarbeit

Die Projektergebnisse sind in eine gemeinsame grenzüberschreitende Öffentlichkeitsarbeit eingeflossen und werden schwerpunktmäßig für den Raum der Biosphären aufbereitet. Es wurden mehrere Treffen während der Projektlaufzeit durchgeführt, wegen der Corona-Bestimmungen meist digital. Nur eine Feldbesichtigung in Ruhstorf am 1. Juli 2021 und die Abschlussveranstaltung wurden in Präsenz abgehalten. Die Zusammenarbeit der Biosphären Lungau und Berchtesgadener Land, der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft sowie der Gendatenbank Tirol ist einzigartig und auf eine dauerhafte Kooperation ausgelegt.

Ausblick

Aufgrund der schwierigen Witterungsverhältnisse im einzigen Anbaujahr des Projekts wird es weiterer Anbauversuche und Untersuchungen bedürfen, um eine Rekultivierung des Binkels zu unterstützen. Man kann aber aufgrund der bisherigen Ergebnisse festhalten, dass eine Rekultivierung des Binkels vor allem im Alpenraum einen großen Gewinn für Natur und Menschen bedeuten würde.
Igelweizen mit abstehenden Grannen und kleinen Körnern.

Igelweizen

Mit einer Rekultivierung dieses "Urgetreides" kann für das Gebiet der EUREGIO Salzburg/Berchtesgadener Land/Traunstein zusammen mit dem Gebiet der EUREGIO Inntal eine botanische Attraktion entstehen und ein Beitrag zur alpinen Agrobiodiversität geleistet werden. Ein einzigartiges regionaltypisches Natur- und Kulturerbe mit gesundheitlichem Mehrwert bleibt dauerhaft erhalten und kann somit grenzüberschreitend touristisch genutzt werden. Mit den drei bereits etablierten Landsorten Laufener Landweizen, Lungauer Tauernroggen und Fisser Gerste ist die Region bereits jetzt auf dem Weg, "Botschafter für Nachhaltigkeit und biologische Vielfalt" zu werden – die erfolgreiche Wiedereinführung des Binkels als echtes Urgetreide schafft ein weiteres Alleinstellungsmerkmal für den Grenzraum Bayern-Salzburg-Tirol.

Projektinformation:
Leadpartner: Dr. Klaus Fleißner, Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft
Projektpartner: Biosphärenregion Berchtesgadener Land, Biosphärenpark Lungau, Gendatenbank Tirol
Projektlaufzeit: bis 30.4.2022
Finanzierung: Kleinprojekt im Rahmen einer Interreg-Förderung der EUREGIO Salzburg/Berchtesgadener Land/Traunstein mit einer Förderrate von 75 %
Förderkennzeichen: BY-181