Zuchtziele

Zuchtziele unterliegen in der Schweinezucht einem relativ raschen Wandel. Deshalb werden Zuchtzielanpassungen in regelmäßigen Abständen durchgeführt. Die Erzeugergemeinschaft und Züchtervereinigung für Zucht- und Hybridzuchtschweine in Bayern w.V. (EGZH) überprüft in einem fünfjährigen Turnus ihr Zuchtziel und setzt, falls erforderlich, in Abstimmung mit den Besamungsstationen, Ferkelerzeugern und Vermarktern neue Schwerpunkte. Dabei wird der erreichte Zuchtfortschritt kritisch bewertet und bei Bedarf werden Korrekturen vorgenommen, um auch in Zukunft sowohl ökonomischen Aspekten als auch Aspekten des Tierwohls gerecht zu werden. Die Aufgabe des Instituts für Tierzucht der Landesanstalt für Landwirtschaft besteht im Rahmen der wissenschaftlichen Betreuung von Zuchtverbänden und Zuchtprogrammen darin, ausgehend von den Anregungen der EGZH, Planungsrechnungen durchzuführen und Vorschläge für das neue Zuchtziel auszuarbeiten. Die Beschlussfassung erfolgt durch die EGZH.

Die Definition von Zuchtzielen kann kein ganz objektives Verfahren sein. Im Gegensatz zum Produktionswert muss man bei der Zuchtzieldefinition Annahmen über die zukünftigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und über das Verhalten der züchterischen Konkurrenz machen. Dies bewirkt, dass manche Merkmale mit einem anderen Wert angesetzt werden, als es volkswirtschaftlich sinnvoll wäre.

Piétrain

Bei der Gewichtung der Erzeugungs- und Qualitätsmerkmale im neuen Zuchtziel 2020 ergeben sich im Vergleich zum Zuchtziel 2015 nur geringfügige Veränderungen, weil die Marktverhältnisse sich nicht wesentlich geändert haben. Nährstoffausscheidungen sind dagegen derzeit für alle Schweinehalter ein Top-Thema. Deshalb wurde die Futterverwertung im Vergleich zum letzten Zuchtziel stärker gewichtet. Die bayerische Genetik sorgt damit für eine optimale Ausnutzung der Nährstoffe im Futter und möglichst geringe Stickstoff- und Phosphorausscheidungen. Um auch die Teilstückausprägung im Blick zu haben, wurde neu das Merkmal Rückenmuskelfläche in das Zuchtziel aufgenommen. Die Erhaltung einer guten Fleischqualität für die Verbraucher wird durch die Merkmale Tropfsaftverlust/pH1-Wert und intramuskulärer Fettgehalt weiterhin sichergestellt. Um auch die Teilstückausprägung im Blick zu haben, wurde neu das Merkmal Rückenmuskelfläche in das Zuchtziel aufgenommen (siehe Tabelle).

Tabelle: Ökonomische Gewichte (€ je Einheit) für die Merkmale des Gesamtzuchtwerts und des Produktionswerts bei Piétrain und bei Mutterrassen im Zuchtziel 2020
PiétrainPiétrainDeutsche Landrasse / Deutsches EdelschweinDeutsche Landrasse / Deutsches Edelschwein
MerkmalGesamtzuchtwertProduktionswertGesamtzuchtwertBayerischer Ökoindex
Futteraufwand30,0042,507,507,50
Tägliche Zunahmen0,060,0450,050,05
Fleischanteil (nach Formel)0,901,660,250,25
Fleischanteil im Bauch0,90-0,250,25
Rückenmuskelfläche0,450,044--
Schlachtkörperlänge---0,50-0,50
ph1-Kotelett8,001,55--
Intramuskulärer Fettgehalt9,50---
Tropfsaftverlust0,60---
Hilfsschleimbeutel--4,04,0
Fruchtbarkeit--7,50-
Geburtsverhalten--2,502,50
Homogenität--2,505,0
Vitalität--10,0010,00
Mütterlichkeit--20,0040,00
Verbleiberate--0,150,30

Mutterrassen

Bei den Mutterrassen (Deutsche Landrasse, Deutsches Edelschwein) gab es eine Vielzahl von Änderungen. Die wirtschaftlichen Gewichte für die Merkmale der Mast- und Schlachtleistung wurden reduziert. Die Merkmale der Fleischqualität werden aufgrund des erreichten Niveaus im neuen Zuchtziel nicht mehr gewichtet; das gilt auch für Stülpzitzen. Neu im Zuchtziel ist die Schlachtkörperlänge, die negativ gewichtet wird, um einen weiteren Anstieg der Schlachtkörperlänge zu verhindern. Ebenfalls neu ist das Merkmal Hilfsschleimbeutel (akzessorische Bursen). Aus züchterischer Sicht ist dieses Merkmal interessant, weil es einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Hilfsschleimbeuteln bei Prüftieren und dem Auftreten von Auftreibungen beim Jungsauenselektionstest gibt. Auch zwei neue Merkmale aus dem Bereich Fruchtbarkeit sind im neuen Zuchtziel enthalten. Die Datenerhebung für Geburtsverhalten (Anzahl totgeborener Ferkel) und für Homogenität (Anzahl zu leicht geborener Ferkel) (Ferkel mit einem geschätzten Geburtsgewicht < 1 kg) findet sowohl in den Herdbuchbetrieben als auch in den Ferkelerzeugerbetrieben statt.

Damit liegt auch im Zuchtziel 2020 der Schwerpunkt bei den Mutterrassen ganz eindeutig auf der tierwohlgerechten Verbesserung der Wurfgröße. Im Vordergrund steht nicht die einseitige Erhöhung der Fruchtbarkeit (Anzahl lebend geborener Ferkel), sondern in erster Linie eine Verringerung der Verluste. Für totgeborene Ferkel und für zu leicht geborene Ferkel werden, analog zu Futterverwertung und Hilfsschleimbeuteln, die Zuchtwerte so ausgewiesen, dass positive Zuchtwerte erwünscht sind. Daher sind auch die ökonomischen Gewichte positiv. In der Tabelle wird aufgezeigt, dass das Zuchtziel der Mutterrassen mit einer Reihe von Merkmalen sowohl aus der Stationsprüfung als auch aus der Feldprüfung sehr komplex ist. Modellrechnungen des ITZ zeigen jedoch, dass bei konsequenter Umsetzung des Zuchtprogramms in beiden Merkmalskomplexen so große Zuchtfortschritte möglich sind, dass die Zuchtprodukte konkurrenzfähig sind.

Öko-Schweinehalter haben besondere Anforderungen an die Eigenschaften ihrer Zuchtschweine. Deshalb hat die Erzeugergemeinschaft und Züchtervereinigung für Zucht- und Hybridzuchtschweine in Bayern w.V. (EGZH) auf Anregung des Arbeitskreises Schweinehaltung im Ökologischen Landbau das Zuchtziel für die bayerische Schweinezucht im Juli 2021 um den Bayerischen Ökoindex (BÖI) erweitert. Der BÖI ist ein Selektionskriterium, das auf Mütterlichkeit, Ferkelvitalität und Wurfhomogenität anstelle einer möglichst hohen Fruchtbarkeit setzt und so den Anforderungen der ökologischen Ferkelerzeugung entspricht.

In intensiven Diskussionen haben die Fachleute der LfL, zusammen mit ökologischen SchweinezüchterInnen und VertreterInnen der Öko-Verbände, den BÖI entwickelt. Von LfL-Seite waren daran die Institute für Agrarökologie (IAB), für Agrarökonomie (IBA) und für Tierzucht (ITZ) beteiligt. So konnte u.a. mit Hilfe des von IBA angebotenen LfL-Deckungsbeitragsrechners herausgearbeitet werden, wie unterschiedlich die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Merkmale in der konventionellen und in der ökologischen Ferkelerzeugung ist. Das Institut für Tierzucht der LfL hat mit seinen Tools für Zuchtplanungsrechnungen die verschiedenen Vorschläge berechnet und mit Hilfe von Testläufen die praktischen Auswirkungen aufgezeigt.

Im Bereich der Mast- und Schlachtleistung entspricht der Bayerische Öko-Index dem aktuellen Gesamtzuchtwert (GZW), aber im Bereich der Fruchtbarkeitsmerkmale gibt es deutliche Unterschiede. Ökologischen FerkelerzeugerInnen ist es enorm wichtig, die Verluste möglichst gering zu halten. Das Ziel ist nicht noch größere Würfe, sondern vitale und homogene Ferkel von Sauen, die ihren Nachwuchs selbständig aufziehen. Daher wird die Anzahl lebend geborener Ferkel im BÖI nicht berücksichtigt. Stattdessen sind die Ferkelverluste unter Beachtung der Anzahl der abgesetzten Ferkel (‚Mütterlichkeit‘) im BÖI das mit Abstand wichtigste Merkmal. Zusätzlich wird die Bedeutung möglichst ausgeglichener Würfe (‚Homogenität‘) betont. Auch die Nutzungsdauer wird im BÖI gegenüber dem konventionellen Zuchtziel aufgewertet (siehe Tabelle).

Gesamtzuchtwert und Produktionswert

Der Gesamtzuchtwert ist ein Index, mit dem die im Zuchtziel enthaltenen Merkmale gleichzeitig auf optimale Weise berücksichtigt werden. Er wird gebildet, in dem die Zuchtwerte der im Zuchtziel enthaltenen Merkmale mit den entsprechenden ökonomischen Gewichten multipliziert und zusammengezählt werden. Der Produktionswert ist ebenfalls ein Index, der sich jedoch vom Gesamtzuchtwert sowohl hinsichtlich der enthaltenen Merkmale als auch hinsichtlich der Gewichtungsfaktoren unterscheiden kann. Für die Besamungseber der Rasse Piétrain werden beide Indices berechnet. Der Gesamtzuchtwert ist eher für den "Züchter", der Produktionswert eher für den "Produzenten" konzipiert.

Gesamtzuchtwert zielt in die Zukunft

Die beiden Indices unterscheiden sich also in ihrer Zielrichtung. Der Gesamtzuchtwert beschreibt gewissermaßen das Zuchtziel und orientiert sich an den Bedingungen, die zukünftig zu erwarten sind. Er ist in erster Linie auf die Wirtschaftlichkeit ausgerichtet, beinhaltet aber auch marktstrategische und zuchtpolitische Aspekte. Zum Beispiel geht der intramuskuläre Fettgehalt in den Gesamtzuchtwert ein, obwohl er den Erlös nicht beeinflusst. Der Gesamtzuchtwert ist langfristig ausgelegt. Demzufolge steht eine Überprüfung des Zuchtziels alle fünf Jahre an, was beim Schwein etwa zwei Generationen entspricht.

Produktionswert entspricht der aktuellen Ökonomie

Der Produktionswert eines Ebers entspricht dem zusätzlichen Gewinn pro Mastschwein, der bei Verwendung dieses Ebers gegenüber einem durchschnittlichen Eber erzielt wird. Er stellt für den Ferkelerzeuger im geschlossenen System eine Richtgröße für die Maximierung des Gewinns aus der Schweinemast dar. Der Produktionswert orientiert sich ausschließlich an der Wirtschaftlichkeit. Er ist kurz- bis mittelfristig ausgelegt. Daher muss in kürzeren Abständen als beim Gesamtzuchtwert überprüft werden, ob die bei der Berechnung des Produktionswerts verwendeten ökonomischen Faktoren noch aktuell sind.

Die unterschiedliche Ausrichtung von Gesamtzuchtwert und Produktionswert wird auch aus der Tabelle ersichtlich. Die Schlachtkörperqualitätsmerkmale Tropfsaftverlust und intramuskulärer Fettgehalt sind nicht im Produktionswert enthalten. Über den pH-Wert werden noch in indirekter Form die Mastverluste berücksichtigt.