Praxisinformationen
Gesamtzuchtwert Rind
Jahrzehntelang beschränkte sich die Selektion in der Rinderzucht weltweit weitgehend auf Produktionsmerkmale wie Milch und/oder Fleisch. Mit der Sättigung der Märkte und teils beträchtlichen Preisrückgängen für Milch und Fleisch ist die Bedeutung kostensenkender Merkmale deutlich gestiegen. Mit der zunehmenden Bedeutung funktionaler Merkmale hat auch die Anzahl der Merkmale, für die Zuchtwerte geschätzt werden, stark zugenommen. Mittlerweile stehen den Zuchtorganisationen und Züchtern über 45 Zuchtwerte pro Stier dreimal im Jahr zur Verfügung. Eine Zusammenfassung der Zuchtwerte entsprechend ihrer züchterischen bzw. wirtschaftlichen Bedeutung in einem Gesamtzuchtwert (GZW) ist daher international üblich.
In einem auf die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Zuchtziel sollten alle wirtschaftlich wichtigen Merkmale berücksichtigt werden. Werden mehrere Merkmale im Zuchtziel berücksichtigt, gilt die Überlegenheit der Indexselektion gegenüber allen anderen Selektionsmethoden als erwiesen. Die Problematik bei der Zuchtzielfestlegung besteht in der Berechnung der wirtschaftlichen Bedeutung für die einzelnen Merkmale, welche unter Berücksichtigung der zukünftigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erfolgen soll.
Der ökonomische Gesamtzuchtwert ist auf die Maximierung des wirtschaftlichen Gesamtnutzens ausgerichtet und beinhaltet neben den Milch- und Fleischleistungsmerkmalen auch die kostensenkenden Fitnessmerkmale. Der Gesamtzuchtwert ist ein Selektionsindex und stellt die mathematische Definition des Zuchtzieles dar. Mit der Berechnung eines ökonomischen Gesamtzuchtwertes können alle wirtschaftlich wichtigen Merkmale in einer Zahl kombiniert werden, nach welcher die Tiere objektiv gereiht werden können. Entscheidend für die Berechnung des ökonomischen Gesamtzuchtwertes beim Einzeltier sind die für die einzelnen Merkmale geschätzten Zuchtwerte mit den jeweiligen Genauigkeiten. Für die Berechnung eines Gesamtzuchtwertes müssen die wirtschaftlichen Gewichte der Zuchtzielmerkmale und die entsprechenden genetischen Parameter bekannt sein. Vereinfacht ausgedrückt, werden die geschätzten Zuchtwerte für die einzelnen Merkmale unter Berücksichtigung der jeweiligen Genauigkeit und den Korrelationen zwischen den Merkmalen bzw. geschätzten Zuchtwerten mit den entsprechenden Wirtschaftlichkeitskoeffizienten multipliziert.
Der GZW wurde 1997 bzw. 1998 in Deutschland bzw. Österreich eingeführt und im Jahre 2002 im Zuge der Einführung der gemeinsamen Zuchtwertschätzung vereinheitlicht. Da die letzte größere Änderung schon fast 10 Jahre zurück liegt, wurde eine Arbeitsgruppe Zuchtziel, bestehend aus Vertretern der Zucht-Dachverbände ASR, AGÖF, ARGE Braunvieh Deutschland und Österreich bzw. Tschechien sowie Vertretern der Zuchtwertschätzstellen eingerichtet, um die fachliche Basis vorzubereiten. Wichtige Grundlagen wurden dabei auch im Rahmen des Projekts OptiGene von ZAR/ZuchtData und BOKU Wien erarbeitet. Im November 2015 haben sich schließlich die jeweiligen Rassen-Arbeitsgemeinschaften auf die neuen Gewichtungen geeinigt, die bei der Zuchtwertschätzung April 2016 erstmalig umgesetzt wurden.
Die neuen wirtschaftlichen Gewichte ab April 2016
Die neuen Gewichtungen für die Rassen Fleckvieh (FV) und Braunvieh (BV) verschieben sich von bislang 38:16:46 Prozent bzw. 48:5:47 Prozent für Milch : Fleisch : Fitness leicht auf 38:18:44 Prozent (FV) bzw. 50:5:45 Prozent (BV).
Beim Fleckvieh wird mit der etwas höheren Gewichtung des Fleischkomplexes und der gleichzeitigen Verschiebung der Gewichtung innerhalb des Fleischblocks auf die Schlachtqualitätsmerkmale der großen Bedeutung der Doppelnutzung Rechnung getragen. Innerhalb des Milchblocks verschiebt sich die Gewichtung von Fett-kg zu Eiweiß-kg von 1 : 10 auf 1 : 1,4 und entspricht damit der wirtschaftlichen Realität nach dem Wegfall der Milchquote. Innerhalb des Fitnessblocks sind die wichtigsten Änderungen die Verdoppelung des Gewichts für den Fruchtbarkeitswert (FRW) und die Einbeziehung des neuen Merkmals Vitalitätswert (VIW). Der Kalbeverlauf paternal (FV,BV) und die Melkbarkeit (nur BV) werden nicht mehr im GZW berücksichtigt, da bei diesem Merkmal von den Besamungsorganisationen bzw. den Züchtern ohnehin strenge eigene Selektionsgrenzen gelten. Eine detaillierten Aufstellungen der Gewichtungen sind in Tabelle 1 und 2 zu ersehen. In Tabelle 3 sind die nicht im April 2016 geänderten Gewichtungen für die Rassen Gelbvieh und Pinzgauer dargestellt.
Die wirtschaftlichen Gewichte zur Berechnung des Gesamtzuchtwertes dürfen aber auf keinen Fall mit den zu erwartenden Zuchtfortschritten bei Selektion nach dem GZW verwechselt werden. Für den Zuchtfortschritt oder Selektionserfolg sind nicht nur die wirtschaftlichen Gewichte, sondern auch die Heritabilitäten, Sicherheiten und die genetischen Beziehungen der einzelnen Merkmale entscheidend.
In Tabelle 1 sind neben den Gewichten auch die theoretisch zu erwartenden Zuchtfortschritte in den einzelnen Merkmalsblöcken bei ausschließlicher Selektion nach dem bisherigen bzw. neuen GZW dargestellt. Beim Fleckvieh verschiebt sich mit dem neuen GZW das Verhältnis des relativen monetären Selektionserfolgs von ca. 75 : 10 : 15 für Milch : Fleisch : Fitness auf ca. 70 : 10 : 20 etwas zugunsten der Fitness. Dies kommt trotz des geringfügig niedrigeren Gewichtes durch die höheren genetischen Korrelationen zwischen den Fitnessmerkmalen zustande, die sich dadurch gegenseitig unterstützen. Trotz der sehr hohen Gewichtung der Fruchtbarkeit ist durch die deutlich negative Korrelation zur Milch kein Zuchtfortschritt zu erwarten, sofern nicht andere Maßnahmen ergriffen werden (z.B. Vorselektion).
Tabelle 3: Wirtschaftliche Gewichte pro genetischer Standardabweichung (%) für die Rassen Gelbvieh und Pinzgauer | Merkmale | Gelbvieh | Gelbvieh | Pinzgauer | Pinzgauer |
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| | rel. (%) | rel. (%) | rel. (%) | rel. (%) |
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Milch | Milch-kg | | 34,3 | | 36,0 |
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| Fett-kg | 4,0 | | 9,0 | |
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| Eiweiß-kg | 30,3 | | 27,0 | |
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Fleisch | Nettozunahme | 8,8 | 20,0 | 6,3 | 14,3 |
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| Handelsklasse | 5,6 | | 5,9 | |
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| Ausschlachtung | 5,6 | | 2,2 | |
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Fitness | Nutzungsdauer | 13,4 | 43,7 | 22,5 | 46,3 |
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| Persistenz | 2,0 | | 1,5 | |
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| Fruchtbarkeit maternal | 6,8 | | 7,5 | |
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| Kalbeverlauf | 3,7 | | 1,5 | |
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| Totgeburten | 8,1 | | 5,8 | |
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| Zellzahl | 9,7 | | 7,6 | |
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| Melkbarkeit | 2,0 | | 3,3 | |
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Methodische Adjustierungen
Die genetischen Beziehungen (Korrelationen) zwischen allen Merkmalen im GZW wurden neu geschätzt. Die Zusammenhänge zwischen den Milchmerkmalen und Fleisch- bzw. Fitnessmerkmalen ist überwiegend stärker negativ als bisher, andererseits sind die Fitnessmerkmale untereinander etwas stärker positiv korreliert.
Die bisherige Berechnungsmethode zeigte die Eigenschaft, dass sie zu überhöhten Streuungen der Gesamtzuchtwerte bei niedrigen bis mittleren Sicherheiten führte, weshalb eine Modifikation notwendig wurde. Mit der verbesserten Methodik wird die Streuung verringert, das heißt, die Gesamtzuchtwerte werden ‚gestaucht‘ und rücken enger zusammen. Die Stauchung der GZWe ist bei den NK-geprüften Stieren nur sehr gering, bei den genomischen Jungvererbern (GJV) und den Kühen allerdings deutlich ausgeprägt. Da sich die Stauchung auf die NK-Stiere kaum auswirkt, rücken sie in der Rangierung nach GZW merklich nach vorne.
Die geänderte Berechnungsmethode wird neben dem GZW auch bei den anderen Indexmerkmalen MW, FIT, ND und EGW angewendet. Die Stauchung ist beim MW relativ gering ausgeprägt, beim FIT allerdings auch deutlich. Die Stauchung beim FIT trifft auch die NK-Stiere, da die Fitness-Sicherheiten bei den jungen NK-Stieren noch relativ niedrig sind.
Wie wirkt sich der neue GZW aus?
Die auffälligste Änderung entsteht durch die neue Berechnungsmethode und die damit verbundene geringere Streuung bei Tieren im niedrigen bis mittleren Sicherheitsbereich. Die Stauchung der GZWe ist bei den NK-geprüften Stieren der Geburtsjahre 2008 bis 2011 (NK) nur sehr gering, bei den genomischen Jungvererbern der Geburtsjahre 2012-2015 (GJV) und den (lebenden) Kühen allerdings deutlich ausgeprägt.
Beim Fleckvieh verlieren GJV und Kühe mit einem GZW von 140 oder mehr im Schnitt etwa 8 GZW-Punkte. Bei einem alten GZW von 120 geht es neu im Schnitt auf ca. 116 zurück. Bei den Stieren bedeutet die Umstellung, dass statt zuletzt 27 nur mehr 1 Stier einen GZW über 140 bzw. nur mehr 140 statt 384 Stieren einen GZW über 130 aufweisen. Da sich die Stauchung auf die NK-Stiere kaum auswirkt, rücken sie in der Rangierung nach GZW merklich nach vorne. War bisher kein einziger NK-Stier in den Top 100, sind es neu immerhin 11.
Beim Braunvieh verlieren GJV und Kühe mit einem GZW von 140 oder mehr im Schnitt etwa 6 GZW-Punkte. Bei einem alten GZW von 120 geht es neu im Schnitt auf ca. 118 zurück. Bei den Stieren bedeutet die Umstellung, dass nur mehr 5 Stiere statt zuletzt 21 einen GZW über 136 aufweisen. Auch beim Braunvieh rücken die NK-Stiere in der Rangierung nach GZW merklich nach vorne. Waren bisher 5 NK-Stiere in den Top 100, sind es neu immerhin 18.
Die Stauchung ist beim MW relativ gering ausgeprägt, beim FIT allerdings auch deutlich. Die Stauchung beim FIT trifft auch die NK-Stiere, da die Fitness-Sicherheiten bei den jungen NK-Stieren noch relativ niedrig sind.
Resümee
Die Entwicklung des neuen GZW hat gezeigt, dass keine gravierenden Änderungen bei der Gewichtung notwendig sind. Durch die verschiedenen Änderungen, die mit der Zuchtwertschätzung im April 2016 eingeführt wurden – neue Gewichtung, angepasste Berechnungsmethode, neues Merkmal Vitalitätswert – kommt es zu größeren Änderungen bei den Zuchtwerten bzw. in der Rangierung der Tiere. Besonders auffällig ist dabei die Stauchung der GZWe bei Kühen und genomischen Kandidaten bzw. Jungvererbern. Dadurch sind die Zuchtwerte von NK-geprüften und genomischen Stieren jetzt noch besser direkt vergleichbar.
Weitere Detailinformationen
Detailinformationen sind auch in den Unterlagen des ZAR-Seminars vom März 2016 in Salzburg zu finden:
Zentrale Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Rinderzüchter (ZAR)
Dr. Christian Fürst
Dr. Christa Egger-Danner
Dr. H. Schwarzenbacher
ZuchtData EDV-Dienstleistungen GmbH
Dresdner Straße 89/19
A-1200 Wien
E-Mail: fuerst@zuchtdata.at
Internet:
Priv.-Dozent Dr. B. Fürst-Waltl
Universität für Bodenkultur Wien (BOKO)
Gregor-Mendel-Straße 33
A-1180 Wien
Update von
Dr. Reiner Emmerling
Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft
Institut für Tierzucht
Prof.-Dürrwaechter-Platz 1
85586 Poing-Grub
E-Mail: Tierzucht@lfl.bayern.de
Stand: Juni 2016
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