Tierwohl
Zucht auf Hornlosigkeit beim Fleckvieh

Früher dienten die Hörner den Rindern als Waffe zur Verteidigung gegen Raubtiere. Bis zur Mechanisierung in der Landwirtschaft nützten sie den Rinderhaltern zur Befestigung eines Joches bei den Zugtieren und waren somit erwünscht. Trotzdem wurde auch der Züchtung hornloser Rinder über viele Jahrhunderte hinweg Beachtung geschenkt.
Aufgrund einer genetischen Mutation traten gelegentlich Rinder mit fehlenden oder nur unzureichend ausgebildeten Hörnern auf. Je nach der Region, dem Nutzungszweck des Schlages und nicht zuletzt der individuellen Neigung des Rinderhalters wurden solche Tiere von der Zucht ausgeschlossen oder bevorzugt.
Heute werden auf allen Kontinenten der Erde hornlose Rinder gezüchtet. Bei einigen Fleischrinderrassen wie Aberdeen Angus, Deutsch Angus, Polled Hereford, oder Galloway ist die natürliche Hornlosigkeit dauerhaft genetisch verankert. Bei vielen gehörnten Rassen wie z.B. Charolais, Limousin, Blonde d'Aquitaine, Shorthorn, Deutsche Holsteins, Pinzgauer, Braunvieh, Gelbvieh, Fleckvieh u. a. existieren hornlose Zuchtlinien und es wird eine weitere Ausbreitung der natürlichen Hornlosigkeit angestrebt.
Während in der Fleischrinderzucht bei Fleckvieh schon länger ausschließlich natürlich (=genetisch) hornlose Zuchttiere nachgefragt werden, waren diese in der Milchviehhaltung noch vor einem Jahrzehnt in geringem Maße verbreitet. Seitdem setzen auch immer mehr Milchviehhalter verstärkt hornlose Bullen ein, da sich die züchterische Qualität in der Doppelnutzung stetig verbessert und sie eine Alternative zur thermischen Enthornung ihrer Kälber wünschen.
Die Rinderhalter sehen in der Hornlosigkeit ihres Bestandes eine Reihe von Vorteilen.
Vererbung der Hornlosigkeit
Der Hornstatus der Rinder (Hörner, hornlos, Wackelhorn) wird von mehreren Genregionen beeinflusst, von denen bei unseren gängigen Rassen zwei für die praktische Zucht von Bedeutung sind:
Der Genort für Hornlosigkeit
Der Polled Genort (auch P-Locus genannt, P steht für polled = hornlos) befindet sich auf dem Chromosom 1 des Rindergenoms und ist entscheidend für das Auftreten hornloser Rinder. In einem sehr nahen Bereich sind zwei verschiedene Mutationen anzutreffen: Die „friesische“ vor allem bei Holsteins und Jersey, die „keltische“ überwiegend bei den europäischen Fleisch- und Zweinutzungsrassen. Bei Fleckvieh wie auch bei anderen Rassen treten beide Mutationen auf.
Am Genort kommen zwei verschiedene Ausprägungsformen (Allele) vor. Das Allel für Hornlosigkeit P (Großbuchstabe) wirkt dabei dominant über das Allel für Hornausbildung p (Kleinbuchstabe), d.h. wenn mindestens ein P am Polled Genort vorhanden ist, bekommt ein Kalb keine normalen Hörner. Eine spätere Ausbildung von sogenannten Wackelhörnern ist jedoch möglich. Gehörnte Rinder besitzen den Genotyp pp.
Darstellung des Hornstatusgenotyps am P-Locus
- PP = homozygot (reinerbig) hornlos
- Pp = heterozygot (mischerbig) hornlos
- P = phänotypisch sauber hornlos, der exakte Genotyp (PP oder Pp) ist noch nicht bekannt
- pp = gehörnt
Nachkommen von Eltern, die beiderseits als homozygot hornlos erkannt sind, können vorzeitig als PP eingestuft werden.
Sind dagegen die Eltern natürlich hornlos, aber nicht beide homozygot, wird der hornlose Nachkomme zunächst mit P gekennzeichnet. Über seine Nachkommen wird der exakte Status (Pp oder PP) in vielen Fällen über die Jahre ersichtlich. Alternativ besteht seit 2010 die Möglichkeit, mittels eines anerkannten Gentests den vollständigen Genotyp festzustellen. Gentestergebnisse werden dabei mit einem Stern gekennzeichnet (PP*, Pp*, pp*).
Ist ein Elternteil gehörnt (pp), der andere natürlich hornlos (PP, P, Pp, PS), besitzt ein sauber hornloser Nachkomme stets den Hornstatusgenotyp Pp.
Vererbung der Hornlosigkeit (P-Locus) im Überblick
Hornstatus Elternteil 1 Genotyp (Phänotyp) | Hornstatus Elternteil 2 Genotyp (Phänotyp) | Hornstatus Nachkommen Genotyp | Hornstatus Nachkommen Phänotyp |
---|---|---|---|
PP (hornlos) | PP (hornlos) | 100 % PP | alle hornlos |
PP (hornlos) | Pp (hornlos) | 50 % PP 50 % Pp | alle hornlos |
PP (hornlos) | pp (gehörnt) | 100 % Pp | alle hornlos |
Pp (hornlos) | Pp (hornlos) | 25 % PP 50 % Pp 25 % pp | hornlos hornlos gehörnt |
Pp (hornlos) | pp (gehörnt) | 50 % Pp 50 % pp | hornlos gehörnt |
Der Phänotyp "hornlos" schließt hier mit ein, dass je nach Konstellation am S-Locus Wackelhörner auftreten können.
Genort(e) für Wackelhornausbildung
Rinder, die keine herkömmlichen Hörner bekommen, bleiben entweder sauber hornlos oder bilden Zwischenformen wie Wackelhörner (WH) oder Stirnbeulen aus. Verantwortlich für die Ausprägung von WH ist im Vererbungsmodell der Wackelhorngenort S, auch S-Locus genannt. S wirkt dabei epistatisch (überlagernd) über P. Ein ursprünglich hornloses Rind mit späterer WH-Ausbildung gilt weiterhin als genetisch hornlos (P), wobei der aufgetretene Wackelhornansatz mit dem Buchstaben S angegeben wird. Folglich erfolgt die Kennzeichnung mit PS.
PS = genetisch hornlos mit Wackelhorn-Ausprägung (Kruste(n), kleine bis größere Wackelhörner)
Die Variation üblicher Wackelhornausprägungen reicht von lediglich fingernagelgroßen Krusten bis zu Wackelhörnern mit über 10 cm Länge. Klassische WH weisen keine knöcherne Verbindung mit dem Stirnbein auf und sollten aufgrund ihrer geringen Größe (bei FV-Kühen meist winzige Krusten bis 6 cm lange WH) nicht nachenthornt werden. In seltenen Fällen verfestigen sich WH mit zunehmendem Alter des Tieres und legen dann noch an Größe zu. Dies ist in besonderem Maße bei Altbullen zu beobachten.
Wackelhörner werden gemäß der klassischen Theorie in Abhängigkeit vom Hornstatusgenotyp und vom Geschlecht des Rindes vererbt.
Entgegen früherer Vererbungsmodelle sind uns nachweislich keine homozygot hornlosen Rinder mit WH-Ansätzen bekannt. Im Gegensatz dazu bekommt ein Teil der heterozygot hornlosen Tiere im Laufe des Aufwachsens Krusten oder zumeist kleine deutlich wackelige Ansätze nachgebildet. Seit 2017 werden hornlose Rinder im Milchviehbetrieb mit vorliegendem Gentest Pp* und zugleich Wackelhornausprägung mit P*S gekennzeichnet und veröffentlicht. Im Fleischrinderherdbuch erfolgt die Kennzeichnung mit PS*.
WH treten bei den männlichen Tieren häufiger auf als bei den weiblichen.
Die unterschiedlichen Ausprägungsformen, die zeitlich variable Entwicklung und der komplexe Erbgang deuten darauf hin, dass verschiedene WH-Anlagen einen Einfluss auf den Phänotyp ausüben. Dies bestätigen wissenschaftliche Studien der letzten Jahre.

Heterozygot hornloser Stier Pp x gehörnte Kuh pp
Hornloszucht in den Betrieben
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Johann Robeis
Institut für Tierzucht
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