Kulturlandschaft und Biodiversität
Der Streuobstbau und seine vielfältigen Funktionen

Distelfalter auf einer Flockenblume

Distelfalter auf einer Flockenblume

Der Streuobstanbau erlebt aufgrund seiner Funktionsvielfalt eine Renaissance. Stand anfangs vor allem die hohe naturschutzfachliche Bedeutung im Vordergrund, sind heute die Nutzung und Verwertung ebenso wichtige Aspekte für die Erhaltung des Streuobstbestandes.

Streuobstwiesen sind ein sehr artenreicher Lebensraum. Der Artenreichtum erklärt sich aus der Überlagerung der beiden Biotoptypen "Obstbaum" und "extensive artenreiche Wiese". Zwischen diesen zwei Teillebensräumen besteht auch eine gewisse Konkurrenz um Nährstoffe, Licht und Wärme.
Der Artenreichtum und der hohe Wert rührt daher, dass sich eine Reihe von zum Teil bedrohten Tierarten z. B. Steinkauz, Wendehals und Wildbienen eingefunden haben, die beide Ökotope gemeinsam nutzen und daher als spezifisch für den Biotoptyp Streuobstwiese gelten.

Streuobstbestände besitzen entscheidende Qualitäten für die Tier-Lebensgemeinschaft:

  • Nahrungsreichtum (Insekten, Früchte, Blüten etc.)
  • Strukturreichtum (Baumschicht, z. T. mit Höhlen, Astquirlen, Krautschicht, zusätzliche Elemente)
  • Extensive Bewirtschaftung (v. a. Fehlen von Biozidbehandlung, keine oder höchstens geringe Düngung, geringe Störung)

Von großer Bedeutung für die Tierwelt ist dabei die kombinierte Nutzbarkeit von Baum- und Krautschicht. Baumbrütende Vogelarten z. B. finden hier ein vielfältiges Nahrungsangebot in enger räumlicher Nachbarschaft zum Brutplatz vor. Dies kann vor allem bei Schlechtwetterperioden von entscheidender Bedeutung für den Bruterfolg sein. Auch Käferarten, deren Larven sich im Obstbaumholz entwickeln, besuchen als Imago vielfach Blüten.

Die verschiedenen Stockwerke in der Streuobstwiese werden von unterschiedlichen Lebewesen genutzt. Unter den Tiergruppen gibt es einige, die ihren gesamten Lebenszyklus in der jeweiligen Schicht verbringen, viele wechseln aber innerhalb eines Entwicklungsstadiums bzw. während der verschiedenen Entwicklungsstadien von einer Schicht zur anderen.

Nachfolgend werden die vielen unterschiedlichen Lebensräume aufgeführt:

Lebensraum Baum mit

  • Krone, Stammoberfläche
  • Holz, Totholz
  • Baumhöhle
  • Blatt, Blüte, Frucht

Lebensraum Unterkultur mit zusätzlichen Strukturen

  • Wurzelbereich
  • Bodenoberfläche
  • Pflanzendecke (Stängel, Blattwerk, Blüten)

Zusätzliche Strukturen

  • Weinbergsmauern
  • Asthaufen
  • Heuhaufen
  • Kuhfladen, Kot
Blühende Streuobstbäume - reich strukturierte LandschaftZoombild vorhanden

Blühende Streuobstbäume - reich strukturierte Landschaft

Von den "Nebenwirkungen" des Streuostbaues ist sein prägender Einfluss auf das Landschaftsbild besonders augenfällig. Im Unterschied zu den vorwiegend flächig erscheinenden landbaulichen Kulturen geht von Bäumen eine dreidimensionale Wirkung aus. Darum setzen selbst Einzelbäume in einer Landschaft unübersehbare Akzente. In ihren wechselnden Gruppierungen vermitteln sie räumliche Tiefe, Unverwechselbarkeit und Vielfalt. Diese Wirkung wird noch gesteigert durch das Auftreten unterschiedlichster Baumgrößen und -formen. Durch sie bleibt die Vielfalt auch in großflächigen Beständen erhalten, ganz im Unterschied zu modernen Dichtpflanzungen, die ja bewusst auf maschinengerechte Gleichförmigkeit erzogen werden.
Gesteigert wird die Vielfältigkeit durch die im Jahreslauf wechselnden arten- und sortentypischen Farbnuancen, wobei die Blütezeit und die Zeit der Frucht- und Laubfärbung besondere Höhepunkte darstellen. Aber auch die Grünabstufungen des sommerlichen Laubes und das unterschiedliche Maßwerk winterkahler Baumkronen sind von vielfältigem Reiz.
So können Streuobstbäume selbst ebenen Landschaften auf vielerlei Weise Abwechslung verleihen, im Hügelland zeichnen sie oft die Konturen nach und machen so das Relief stärker erlebbar. Häufig heben sie die gewachsenen Strukturen der alten bäuerlichen Kulturlandschaften hervor und stellen damit auch kulturhistorische Dokumente dar.
Ganz allgemein zählen die vom Streuobstbau geprägten Landschaften zu den vielfältigsten Bildern heimischer Kulturlandschaften. Mit dem Einsetzen der großen Rodungen ist weiten Bevölkerungskreisen erst richtig zum Bewusstsein gekommen, wie viele Landschaften auch außerhalb der eigentlichen Obstbaugebiete von Obstbäumen geprägt sind oder waren, und sei es nur durch Einzelbäume in der Feldflur, durch Baumreihen entlang von Straßen und Wegen oder durch die Grüngürtel der Ortschaften.
Geführte Wanderung in einer StreuobstwieseZoombild vorhanden

Geführte Wanderung in einer Streuobstwiese

Mit der Vielfalt des Landschaftsbildes ist die Erholungswirkung auf den Menschen eng verknüpft. Hinzu kommt, dass sich Menschen mit Bäumen gefühlsmäßig besonders stark verbunden fühlen. Eine durch Streuobstbestände gestaltete Landschaft wird somit als besonders schön und wohltuend empfunden. Solche Landschaften stellen Erholungsräume dar, die namentlich von der Stadtbevölkerung in ihrer Freizeit gerne aufgesucht werden.
Erholungssuchende halten sich lieber in Streuobstlandschaften als zwischen dichten Obstanlagen auf. In der Wertschätzung der Bevölkerung rangiert der Streuobstbau deutlich vor den Obstanlagen.
Die Attraktivität der Streuobstlandschaften für die Erholungssuchenden wechselt mit der phänologischen Entwicklung im Laufe des Jahres. Einen besonderen Höhepunkt stellt zweifellos die Zeit der Obstblüte dar. Namentlich die frühen Gebiete, in denen es schon blüht, während die Bäume im übrigen Land noch kahl sind, werden in diesem Zusammenhang viel gerühmt. Aber auch in den späteren Gebieten geht man gerne "in die Kirschblüte" oder ganz allgemein "in die Baumblüte". Dabei denkt man primär an die optische Wahrnehmung des Blütenmeeres. Doch kommen weitere Sinneseindrücke dazu, wie der Duft der Blüten, das Summen der Bienen, der Gesang der Vögel. Dass auch in der Zeit der Fruchtreife und Laubfärbung die Streuobstbestände nicht nur ihrer optischen Reize wegen gerne aufgesucht werden, braucht kaum besonders betont zu werden. Aber selbst im kahlen Winterzustand haben sie ihre Anziehungskraft nicht verloren. Jetzt kommt als weiteres Attribut die freie Begehbarkeit der Streuobstparzellen hinzu. Viele Menschen brauchen zu ihrem Wohlbefinden eine Umwelt, die nicht ausschließlich von Technik, Rentabilität und Zweckmäßigkeit bestimmt ist. Diese Bedürfnis wird beim Wandern durch offene Streuobstlandschaften befriedigt.
Liebhaberobstbauer
Aber nicht nur die sonntägliche Wanderung oder der Spaziergang am Feierabend kann Erholung bringen. Noch intensiver empfindet derjenige die ausgleichende Wirkung, der sich in seiner Freizeit als "Liebhaberobstbauer" selbst körperlich betätigt und dabei Entspannung findet vom Stress der Fabrikhalle oder des Büros. Freilich darf nicht übersehen werden, dass für viele diese körperliche Tätigkeit auch zur Plage, zum unerwünschten Zwang werden kann, wenn das Ausmaß der notwendigen Arbeiten die verfügbare Zeit und die körperlichen Kräfte übersteigt. Hier ist die Abstimmung des Arbeitspensums auf die Möglichkeiten des Einzelnen wichtig. Doch bietet ja gerade dafür der nicht vordergründig zum Erwerb betriebene Streuobstbau viele Möglichkeiten, sei es durch Veränderung der Flächengröße oder durch Veränderung der Bewirtschaftungsintensität. Eine entsprechend abgestimmte obstbauliche Betätigung kann für die ganze Familie eine Quelle der Erholung sein, wobei das "Miteinander" auf ein gemeinsames Ziel hin noch den Gemeinschaftssinn fördert. Wer als Kind schon den jahreszeitlichen Entwicklungsgang der Bäume und Sträucher vom ersten Knospenschwellen über die Entfaltung von Blüten und Blättern bis zur Ernte der reifen Früchte und der herbstlichen Verfärbung und den Fall des Laubes aus nächster Nähe greifbar miterlebt, der wird ein anderes Verhältnis zu seiner Umwelt bekommen, als derjenige, der dies – wenn überhaupt – ausschließlich aus Büchern oder vom Bildschirm erfährt. Und er wird vielleicht auch später in seinem Leben leichter Sinn und Erfüllung finden- ohne große Aufwendungen für umweltbelastende "Freizeitaktivitäten". Er darf die Gewissheit haben, dass er, indem er Bäume pflanzt und pflegt, auch einen positiven Beitrag leistet zur Erhaltung und Gestaltung seiner Umwelt, die ihm und vielen anderen Heimat sein kann.
Streuobstbäume sind SchattenspenderZoombild vorhanden

Streuobstbäume sind Schattenspender

Ein Teil der erholsamen Wirkung von Streuobstbeständen beruht auf ihrem ausgleichenden Einfluss auf das Klima, insbesondere das Mikroklima im Bestand. Diese "Wohlfahrtswirkung" wird namentlich an heißen Sommertagen spürbar, wenn Wanderer und Baumbesitzer gleichermaßen gerne den kühlen Schatten der Bäume aufsuchen. Die Wirkung des Baumschattens beruht weniger auf einer Senkung der Lufttemperatur als auf eine Abschirmung der direkten Strahlung und der sich daraus ergebenden geringeren Belastung des Körpers. Dieser Strahlenschutz wird auch von Weidetieren gerne genutzt, die sich an heißen Sommertagen bevorzugt im Schatten der Bäume versammeln.
Die "Nebenwirkung" Schatten dürfte sogar für die Entstehung mancher Formen des Streuobstbaues ein entscheidendes Kriterium gewesen sein.
So ist beispielsweise die häufig anzutreffende Kombination von Viehkoppel und Streuobst mit darauf zurückzuführen. Das gleiche dürfte für die früher weit verbreiteten Einzelbäume in der freien Feldflur anzunehmen sein, die offenbar schon im 17. Jh. so charakteristisch waren, dass sie in den Karten öfters als Standardsignatur im Ackerland erscheinen, während sich zusammenhängende Obstbauflächen weitgehend auf die Ortsränder beschränkten. Für die Produktion wäre eine solch weite Streuung nicht erforderlich gewesen. Vielmehr scheint das Bedürfnis nach einem auch in Ortsferne kurzfristig erreichbaren schattigen Rastplatz für Mensch und Tier in der Mittags- und Vesperpause sowie nach einem Regenschutz bei rasch aufziehenden Schauern ausschlaggebend gewesen zu sein.
Durch Erhöhung der "Oberflächenrauhigkeit" einer Landschaft tragen Streuobstbestände auch zur Windbremsung bei. Einen wirksamen Windschutz bieten sie vor allem dort, wo sie sich – am besten in Verbindung mit säumenden Hecken – als geschlossener Grüngürtel um die Ortschaften ziehen und diesen eine Atmosphäre der Geborgenheit vermitteln, die durchaus nicht nur auf dem rein optischen Eindruck beruht.
Die Streuobstwiese am Hang schützt vor BodenerosionZoombild vorhanden

Die Streuobstwiese am Hang schützt vor Bodenerosion

Unter dem Aspekt des Umweltschutzes verdienen auch die günstigen Auswirkungen des Streuobstbaues auf Boden und Wasser verstärkte Beachtung. Kaum eine andere landbauliche Kulturform wirkt in gleicher Weise der Bodenerosion in Hanglagen entgegen. Streuobstbau mit geschlossenem Grasunterwuchs hat hier ähnliche bodenschützende Eigenschaften wie der Wald. Im Unterschied zu Kulturen mit offenem Boden, namentlich Acker- und Weinbau, spielt die Bodenerosion für Streuobstbau selbst in steilen Hanglagen keine Rolle, es sei denn, der Boden wird für Unterkulturen bearbeitet. Unter der schützenden Grasdecke hingegen wird der Boden vor Abschwemmung bewahrt und zusätzlich mit Humus angereichert.
Wegen des nahezu fehlenden Bodenabtrages entfällt auch die oberflächliche Verlagerung von Nährstoffen und deren Eintrag in Gewässer mit der unerwünschten Folge der Eutrophierung. Ebenso ist auch die Auswaschung von Nährstoffen durch das Sickerwasser meist nur gering, da Überdüngungen im Streuobstbau selten vorkommen, insbesondere wenn das Gras nicht gemulcht, sondern genutzt wird. An der in vielen Landesteilen zu beobachtenden Erhöhung der Nitratwerte des Grundwassers hat der Streuobstbau, von Ausnahmen abgesehen, keinen Anteil. Da außerdem der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Herbiziden im Streuobstbau sehr gering ist, erfolgt auch von dieser Seite keine Belastung der Böden und Gewässer.
Alte Obstsorten auf der LandesobstausstellungZoombild vorhanden

Alte Obstsorten auf der Landesobstausstellung

Von biologischem Interesse ist schließlich nicht nur die große Vielfalt der mit den Streuobstbäumen vergesellschafteten Tier- und Pflanzenarten, sondern auch die Sortenvielfalt der Bäume selbst. Sie stellt ein Reservoir an vielseitigen Erbanlagen dar, wie es in dem auf wenige marktgängige Sorten spezialisierten Intensivobstbau nicht mehr besteht. Diese Genreservoir gilt es für die Zukunft zu sichern, indem insbesondere Sorten, die sich als robust gegen Klima, Krankheiten und Schädlinge erwiesen haben, weiter vermehrt werden. Für den intensiven Tafelobstbau sind diese Sorten zwar meistens ohne direktes Interesse; ihre Resistenzeigenschaften können jedoch in der Obstzüchtung Bedeutung erlangen, wenn es gelingt, sie mit den geschmacklichen Qualitäten der heutigen Tafelsorten zu kombinieren und dadurch die Aufwendungen für den Pflanzenschutz zu senken. Unabhängig davon ist auf jeden Fall die Vermehrung solcher robusten Sorten für alle extensiven Formen des Obstbaues von besonderer Wichtigkeit, da nur sie eine weitere obstbauliche Nutzung der schwer zu bewirtschaftenden Hanglangen ermöglichen oder sich als landschaftsprägende Einzelbäume auch ohne Pflegemaßnahmen in der Feldflur behaupten können.
Der Streuobst-Apfelsaft schmeckt!Zoombild vorhanden

Der Streuobst-Apfelsaft schmeckt!

Der Streuobstbau ist eine traditionelle Form des Obstbaus in Garten und Landschaft und war lange Zeit das Anbauverfahren für die Selbstversorgung und den erwerbsmäßigen Anbau von Tafel- und Mostobst.
Heute liegt die Hauptbedeutung des Streuobstes mit jeweils etwa 30 - 40 % der Streuobstmenge in der Eigenverwertung und als Rohstoff für die Verarbeitung (= Mostobst). Der wichtigste Bereich ist dabei die Apfelsaftherstellung. Bei einem jährlichen Apfelsaftverbrauch von ca. 1 Mrd. Liter stammt etwa die Hälfte der zu Fruchtsaft verarbeiteten Äpfel aus der Ernte in Deutschland. Keltereien verarbeiten das geerntete Obst mit überwiegendem Anteil zu klaren oder naturtrüben Direktsäften.
Daneben werden mit zunehmender Tendenz andere hochwertige Produkte wie Apfelsekt, Apfelsecco, Cidre oder auch Bioapfelschorle produziert, die neben den traditionellen Verarbeitungsprodukten wie Most, Brand, Gelees, Dörrobst, Kompott oder auch der Verarbeitung in der Küche (Backen, Kochen) zum Erhalt der wertvollen Streuobstbestände beitragen.
In der Direktvermarktung und auf Bauernmärkten wird Streuobst im geringen Umfang auch als Tafelobst vermarktet. Das Streuobst wird dort aufgrund der Sortenvielfalt geschätzt.