Kulturlandschaft
Der Streuobstbau: Bedeutung, Gefährdung und Chancen
von Stefan Kilian, Peter Jungbeck

Blühende Kirschbäume im Landkreis Lindau

Blühende Kirschbäume im Landkreis Lindau

Bedeutung des Streuobstbaus

Der Obstanbau spielt in der Kulturlandschaft schon seit Jahrhunderten eine bedeutende Rolle. Streuobstbestände prägen in vielen Regionen die Landschaft. Insbesondere während der Blüte im Frühjahr beleben sie das Landschaftsbild und binden die Dörfer harmonisch in die Umgebung ein.
Im Laufe ihrer Entwicklung wuchs die Bedeutung der Streuobstbestände als wertvoller Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten. Heute leben hier bis zu 5.000 Arten. Viele davon stehen auf der Roten Liste und sind vom Aussterben bedroht.
Deshalb zählt der Lebensraum Streuobst zu den wichtigsten und wertvollsten Kulturlandschaftsbiotopen.

Sortenvielfalt im Streuobstanbau

Anzahl der Obstsorten in DeutschlandZoombild vorhanden

Anzahl der Obstsorten in Deutschland

Die Vielfalt von über 3.000 Sorten im Streuobstanbau bietet ein großes Reservoir an vielseitigen Erbanlagen, die es in dem auf wenige marktgängige Sorten spezialisierten Intensivobstanbau nicht mehr gibt. Dieses Genreservoir gilt es für die Zukunft zu sichern.
Ziel muss es sein, diejenigen Sorten, die sich als robust gegen Klimaeinflüsse, Krankheiten und Schädlinge erwiesen haben, eine entsprechende Nutzungseignung und einen hohen gesundheitlichen Wert aufweisen, weiter zu vermehren und für den Anbau zu nutzen.
Darüber hinaus hat das Streuobst Bedeutung für den Klimaausgleich, den Boden- und Wasserschutz, den Erholungswert und die Kulturgeschichte.

Bedeutung und Ökologie der Streuobstwiese (Wikipedia) Externer Link

Gefährdung

Pflegedringlichkeit von Streuobstbäumen im Landkreis LindauZoombild vorhanden

Pflegedringlichkeit von Streuobstbäumen im Landkreis Lindau

Der bisherige Verlust unserer Streuobstbestände und ihre Gefährdung für die Zukunft sind dramatisch.
Auf der Basis vom NABU Deutschland herausgegeben Daten errechnet sich für Deutschland eine Bestandsabnahme der Streuobstflächen von 1950 bis 2010 um 73 - 80 %. Für Bayern rechnet die LfL mit einem Verlust an Streuobstbäumen von 1955 bis 2010 um circa 70 %.
Eine flächendeckende Bestandsaufnahme hat für Baden-Württemberg beinahe eine Halbierung der Streuobstbäume von 18 Mio. Bäumen im Jahr 1965 auf 9,3 Mio. Bäumen im Jahr 2005 ergeben.
Im Landkreis Lindau wurde bei einer Stichprobe von 1500 Streuobstbäumen zur Dringlichkeit der Pflege für 40 % ein dringender Pflegebedarf und für weitere 40 % eine mittlere Dringlichkeit ermittelt.
Ein rasches Handeln ist dringend erforderlich, da in den nächsten 10 - 20 Jahren aufgrund der Überalterung und mangelnder Pflege mit einem weiteren Verlust von 30 - 50 % der Streuobstbestände gerechnet werden muss!
Die Pflege der Altbäume, umfangreiche Neupflanzungen, die Verbesserung der Vermarktungssituation für das Streuobst sind Grundvoraussetzungen für eine dauerhafte Erhaltung.
Aus- und Fortbildungsangebote, z. B. zum geprüften Obstbaumpfleger, zum Streuobst-Wiesenführer oder Most-Sommelier, wie sie vereinzelt angeboten werden, helfen mit, den Status quo nicht nur zu erhalten, sondern eine Weiterentwicklung des Streuobstbaus in die Zukunft zu ermöglichen.

Wirtschaftlichkeit im Anbau

Neben der ökologischen und ästhetischen Bedeutung der Streuobstflächen muss die Wirtschaftlichkeit wieder mehr beachtet werden. Lange Zeit war die Nutzung des Streuobstes vernachlässigt worden. Der traditionelle Anbau und die Pflege wurden zu zeitaufwändig und zu teuer.
Trotzdem hat das Streuobst vor allem als Verarbeitungsobst einen wichtigen Stellenwert. Für den wichtigsten Produktionszweig, der Apfelsaftproduktion, liefern Streuobstbestände in Deutschland auch heute noch je nach Erntejahr zwischen 500.000 und etwas über 1 Mio. Tonnen Äpfel. Und Potential wäre vorhanden: in Bayern wurde in den Jahren 2001 bis 2003 der errechnete Apfelsaftverbrauch von 149 Mio. Liter/Jahr durch die Apfelsaftproduktion bayerischer Keltereien (92,4 Mio. Liter/Jahr) nur um 62 % gedeckt.
Im Anbau helfen moderne Lese- und Erntemaschinen, die Produktion von Mostobst wirtschaftlicher zu gestalten.
Notwendig ist sicherlich die Anpassung der Streuobstbestände an die heutige Produktionstechnik, z. B. durch größere Reihenabstände, eine höhere Wertschöpfung durch die Nutzung der gesamten Biomasse z. B. des anfallenden Schnittgutes für die energetische Erzeugung, neue, evtl. überbetriebliche Nutzungs- bzw. Pflegekonzepte sowie weitere Anbausysteme, z. B. eine Streuobsterzeugung im Rahmen von Agroforstsystemen.

Chancen in der Vermarktung

Streuobst Produkte Zoombild vorhanden

Streuobst Produkte

Im Ernährungssektor hat in den letzten Jahren zum Teil ein Umdenken stattgefunden. Die Chancen für den Streuobstanbau liegen in der ungeheuren Sortenvielfalt, im hohen gesundheitlichen Wert vieler alter Sorten, in der nachvollziehbaren Herkunft aus der Region und in neuen Produkten, die beim Verbraucher ankommen.
In Tourismusregionen tragen Streuobstbestände maßgeblich zur landschaftlichen Attraktivität bei und unterstützen die regionalen Wertschöpfungsketten.
Notwendig sind eine hohe Qualität der Produkte und Angebote, eine nachvollziehbare und ggf. geschützte Herkunft sowie neue regionale und überregionale Markt- und Absatzkonzepte.