Die Keimfähigkeit von überlagertem Saatgut

Keimt überlagertes Saatgut noch?

Saatgut ist zwar ein teures Betriebsmittel, aber doch die wichtigste Voraussetzung für die neue Ernte. Daher ist es verständlich, dass die Landwirte den Saatgutzukauf sehr gut planen. Bei Fruchtarten mit einer Zukaufsrate von 100 %, wie z. B. Mais, Zuckerrüben, Klee und Gräser muss jedoch so viel Saatgut zugekauft werden, dass sich auch am Schluss noch genügend Saatgut in den Säkästen bzw. der Sämaschine befindet um eine gleichmäßige Aussaat zu erreichen. Meistens ergibt der Saatgutrest zusammen eine Packung. Im nächsten Jahr stehen die Landwirte häufig vor der Frage, ob sie das Restsaatgut vom Vorjahr noch aussäen können. Im Laufe der Lagerung nimmt die Keimfähigkeit durch natürliche Alterung ab. Wie groß der Keimverlust innerhalb eines Jahres sein kann und von welchen Faktoren dies beeinflusst wird, darüber wird im Folgenden berichtet.

Drei verschiedene Typen von Samen

1. Orthodoxe Samen

Fast alle landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Arten gehören zu den sog. orthodoxen Samen. Bei dieser Artengruppe trocknen die Samen auf der Mutterpflanze aus, je nach Witterungsverlauf auf Feuchtigkeitsgehalte von 15 % und darunter. Je nach Fruchtart kann das Saatgut durch eine schonende Trocknung weiter herunter getrocknet und damit lagerungsfähig gemacht werden. Ziel bei der Lagerung muss es sein Bedingungen zu schaffen, dass der mit dem Alterungsprozess einhergehende Keimverlust des Saatguts bestmöglich angehalten bzw. verlangsamt wird.
Für Praxisbedingungen, z. B. bei Getreide bedeutet dies, dass der Wassergehalt nicht höher als 13 % sein soll. Nur bei einem Wassergehalt von 13 % und darunter ist die Atmungsaktivität gering, auch noch bei einer Lagerungstemperatur von 25 °C. Liegt der Wassergehalt über 14 % nimmt die Atmungsaktivität deutlich zu, außer die Lagertemperatur bewegt sich im Bereich zwischen 0 und 10 °C. Doch dies ist in der Praxis unrealistisch. Ab einem Wassergehalt von 15 % steigt die Atmung stark an. Kommt zu dem hohen Wasserhalt noch eine hohe Lagerungstemperatur von 20 °C und darüber hinzu, steigt die Atmung rapide an. Die Zunahme der Atmung bedeutet eine stark erhöhte Bildung von Kohlendioxid, das für den Keimling schädlich ist.

2. Rekalzitrante Samen

Bei dieser Gruppe trocknen die Samen auf der Mutterpflanze nicht aus, sondern fallen in geqollenem Zustand von der Mutterpflanze herunter. Bei einer Trocknung der Samen verlieren diese sofort ihre Keimfähigkeit. Rekalzitrante Samen sind deshalb nur wenige Wochen bis einige Monate lagerungsfähig. Zu ihnen gehören tropische Arten wie z. B. die Kokosnuss, Avocado und Kakao sowie die Forstarten Walnuss, Haselnuss und Eiche.

3. Intermediäre Samen

Dazu gehören die Arten Kaffee, Zitrone, Orange, Rotbuche und die Eibe. Diese Arten sind bei einem Feuchtigkeitsgehalt zwischen 10 und 15 % lagerungsfähig.

Praxisversuch zur Lagerung

Gebeiztes Wintergerstensaatgut mit hoher und niedriger Keimfähigkeit wurde in einem Versuch in mehreren Lagerhäusern unter praxisüblichen Bedingungen 1 Jahr lang gelagert. Parallel dazu wurde das Saatgut auch im Saatgutlabor unter optimalen Bedingungen bei 12 °C in ungebeiztem Zustand gelagert. Der Feuchtigkeitsgehalt des Saatgutes lag zwischen 13,5 und 14,5 %. Nach einem Jahr wurden alle Proben auf Keimfähigkeit erneut geprüft. Die Ergebnisse werden dargestellt.

Hohe Ausgangskeimfähigkeit

Bei den Gersten mit einer hohen Ausgangskeimfähigkeit von durchschnittlich 98 % hat sich die Keimfähigkeit nach einjähriger Lagerung nur unwesentlich verändert. Der Keimverlust von durchschnittlich 3 % bei den Proben aus den Lagerhäusern ebenso wie bei den optimal gelagerten Proben im Saatgutlabor entspricht dem natürlichen Alterungsprozess, der weder durch die Lagerung in der Praxis noch durch die Beizung beschleunigt wurde. Mit 95 % Keimfähigkeit entspricht das Saatgut auch noch den Anforderungen des Saatgutverkehrsgesetzes (92 %).

junge Pflanzen in zwei weißen Schalen nebeneinander

Überlagertes Getreidesaatgut mit hoher und niedriger Keimfähigkeit

Niedrige Ausgangskeimfähigkeit

Bei der Gruppe mit der niedrigen Ausgangskeimfähigkeit von durchschnittlich 91 % betrugen die Keimverluste unter optimalen Lagerungsbedingungen im Saatgutlabor im Mittel 10 %. Bei den Proben der Lagerhäuser lag der Keimverlust bereits bei 24 % und damit deutlich höher. Das Saatgut ist damit nach einjähriger Lagerung nicht mehr verkehrsfähig und auch nicht mehr anbauwürdig.

Samen auf einem Tisch

Leicht angekeimte und tote Samen bei überlagertem Saatgut.

Einfluss der Beizung

Bei Saatgut mit hoher Ausgangskeimfähigkeit und keinerlei Beeinträchtigung der Kornqualität hat sich kein negativer Einfluss der Beizung bei der Überlagerung gezeigt. Anders ist die Situation bei schwachem oder geschädigtem Saatgut. Hier lassen sich Lagerungs- und Beizeffekte nicht trennen. Eine zusätzliche Beeinträchtigung durch die Beizung ist bei keimschwachem bzw. geschädigtem Saatgut nicht auszuschließen. Bei überlagertem Saatgut mit niedriger Keimfähigkeit werden vor allem Samen festgestellt, die nur leicht ankeimen bzw. nicht mehr keimen .

Saatgut mit optischen Mängeln

Kritisch zu beurteilen sind jene Partien, die zu Untersuchungsbeginn eine hohe Keimfähigkeit von 95 % hatten und nach einjähriger Lagerung Keimverluste von 20 % festgestellt wurden. Bei genauer Betrachtung fiel bei diesem Saatgut auf, dass an den Körnern Mängel in Form von starken Spelzenverletzungen bzw. Spelzenabrieb vorlag. Auch sehr stark vom Regen verwaschenes Saatgut fand sich in dieser Gruppe.

Lagerungsfähigkeit ölhaltiger Fruchtarten

Hierzu zählen in erster Linie Raps und Sonnenblumensaatgut. Es gilt, dass ölhaltige Samen bei Feuchtigkeitsgehalten von ca. 10 % gelagert werden müssen. Ein wichtiger Grund dafür ist der schnellere Verderb des Speicherfettes im Vergleich zu Stärke und Proteinen.

Zur Sicherheit die Keimfähigkeit überprüfen lassen

Um keine unliebsamen Überraschungen erleben zu müssen, soll überlagertes Saatgut vor der Aussaat unbedingt auf die Keimfähigkeit überprüft werden. Aber Vorsicht, nicht alles was gekeimt hat, kann zur Keimfähigkeit gezählt werden. Es muss sehr genau zwischen normalen und anomale Keimlingen unterschieden werden. Nur aus normal gekeimten Keimlingen sind gesunde und ertragreiche Pflanzen zu erwarten. Anomale Keimlinge dagegen laufen entweder überhaupt nicht auf oder bilden nur Kümmerpflanzen. Lassen sie deshalb die Keimfähigkeit von einer erfahrenen Saatgutprüfstelle durchführen.

Zusammenfassung

Landwirtschaftliches und gärtnerisches Saatgut mit hoher Ausgangskeimfähigkeit lässt sich in der Regel überlagern. Allerdings müssen dazu einige wichtige Punkte berücksichtigt werden. Die Keimverluste sind umso geringer je höher die Ausgangskeimfähigkeit und je weniger Kornverletzungen das Saatgut aufweist. Darüber hinaus haben auch der Wassergehalt des Saatguts und die Überlagerungstemperatur einen erheblichen Einfluss auf die Keimverluste. Saatgut mit niedriger Ausgangskeimfähigkeit, das sich bereits an der Grenze der Mindestnorm bewegt kann nicht überlagert werden, wie die Versuche gezeigt haben. Schwieriger in der Überlagerung sind Fruchtarten wie Raps und Sonnenblumen dujavascript:preview()rch den Ölgehalt der neben Temperatur und Feuchtigkeit als weiterer Faktor hinzukommt. Grundsätzlich wird empfohlen, überlagertes Saatgut vor der Aussaat auf Keimfähigkeit zu überprüfen, um keine unliebsamen Überraschungen zu erleben. Bei Öko-Saatgut und den wärmeliebenden Arten wie Mais und Sojabohnen sollte neben der Keimfähigkeit auch die Triebkraft überprüft werden.