Weizenverzwergungsvirus (Wheat dwarf monogeminivirus, WDV)

Schon in den Jahren vor 2004 wurde in Bayern in Wintergerste Befall mit dem Weizenverzwergungsvirus (Wheat dwarf monogeminivirus, WDV) festgestellt. Damals wurde das Virus in ca. 5-15 % der eingesandten Virusverdachtsproben nachgewiesen. Vermutlich bedingt durch die warme Witterung im Herbst 2003 war 2004 ein deutlicher Anstieg im Befall mit dem WDV zu verzeichnen: In weiten Teilen Bayerns - mit Schwerpunkten in Franken - traten besonders bei Wintergerste häufig typische Virussymptome wie Vergilbung und Verzwergung auf. Auch das Absterben von Pflanzen wurde beobachtet. Betroffene Pflanzen waren innerhalb einer Saatreihe zu finden, waren aber auch großflächig im Bestand verteilt. Wie Untersuchungen im virologischen Labor des Instituts für Pflanzenschutz eindeutig belegten, war der Schaden eine Folge des Befalls mit dem Weizenverzwergungsvirus. Auch in den Folgejahren war immer wieder mehr oder weniger starker Befall mit WDV in Bayern zu verzeichnen.

Virusstämme, Virus-Charakterisierung, Partikel-Morphologie und Aufbau des Virus

Es gibt sowohl einen Weizen- als auch Gerstenstamm des Weizenverzwergungsvirus. Die beiden Stämme werden in der neueren Literatur (siehe Schubert et a. 2014) als zwei separate Viren geführt, als Wheat dwarf virus (WDV) und Barley dwarf virus (BDV). Daneben gibt es auch noch das an Hafer vorkommende ODV (Oat dwarf virus), das 2007 in Deutschland an Hafer gefunden wurde (Schubert et al. 2007). Diese drei Viren werden durch eine Zikade, die Wandersandzirpe (Psammotettix alienus) übertragen. Der Einfachheit halber steht im nachfolgenden Text "WDV", gemeint sind aber WDV und BDV. WDV und BDV und auch das ODV können mit dem meist in der Diagnose genutzten serologischen Nachweisverfahren, dem ELISA, nicht unterschieden werden.
Das Weizenverzwergungsvirus gehört zu den Geminiviren. Die Geminiviren werden aufgrund ihrer genomischen Struktur in 4 Gruppen eingeteilt, wobei das WDV/BDV/ODV zur Gruppe 1, den „Mastreviren“ (benannt nach dem Maize Streak Virus) zählen. Das Genom ist einteilig („unipartit“). Die Partikel des WDV enthalten 20 % DNA (Erbsubstanz). Diese ist einsträngig und zirkulär. Alle Mastreviren werden durch Zikaden übertragen.
Die Proteinhülle (Capsid) aller Geminiviren besteht aus zwei miteinander verbundenen Ikosaedern, die aus 22 Capsomeren (Proteinuntereinheiten) zusammengesetzt sind. Der Durchmesser beträgt 18 nm und die Länge 30 nm. Das Erscheinungsbild ist eher eckig. Die Viruspartikel haben keine externe Hülle.
Die Infektiosität des Virus geht bei Verlust der Proteinhülle verloren.

Zeitpunkt der Infektion und Ertragsrelevanz - Gegenmaßnahmen

Eine frühe Aussaat im Herbst scheint das Risiko für eine WDV-Infektion zu erhöhen
Als günstige kulturtechnische Maßnahmen zur Minimierung des WDV-bedingten Schadens sind deshalb zu nennen: keine extrem frühe Saat der Wintergerste, jedoch frühe Saat der Sommergerste.Sommergetreidearten reagieren allgemein empfindlicher auf Befall mit phloemgebundenen Viren als Wintergetreide.
Wegen der meist späteren Aussaat im Herbst wird der Winterweizen seltener befallen als Wintergerste und -roggen. Infektionen im Herbst können zu einem Absterben der Pflanzen im Verlauf des Winters bis zum Frühjahr führen. Virusinfizierte, den Winter überstehende Pflanzen können stark geschädigt sein und deutliche Symptome (Vergilbung, Verzwergung, Ähren werden nicht richtig ausgebildet) aufweisen. So kann es zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten kommen. Generell ist festzustellen, dass Frühjahrsinfektionen umso weniger ertragsrelevant sind, je später sie erfolgen und je weiter fortgeschritten die Entwicklung eines Bestandes ist.
Vorbeugemaßnahmen
Der Virose kann nur durch Ackerhygiene vorgebeugt werden
  • Vernichten des aufgelaufenen Ausfallgetreides und Abmähen benachbarter Grasraine im Herbst
  • Keine extrem frühe Saat der Wintergerste, jedoch frühe Saat der Sommergerste
  • Auf teilgeschädigten Beständen frühzeitige N-Zusatzdüngung
  • Bei starkem Befall ist ein Umbruch in Erwägung zu ziehen

Wichtige, natürliche Wirtspflanzen und Symptome

  • Gerste (Hordeum vulgare), Weizen (Triticum aestivum), Hafer (Avena sativa), Roggen (Secale cereale): Vergilbung und Verzwergung, die auch massiv sein kann
  • Italienisches Weidelgras (Lolium multiflorum), Einjähriges Rispengras (Poa annua): reduziertes Wachstum
Weitere natürliche Wirtspflanzen
  • Sand-Hafer (Avena strigosa)
  • Roggen-Trespe (Bromus secalinus)
  • Hasenschwänzchen (Lagurus ovatus)
  • Englisches Weidelgras (Lolium perenne)
  • Lein-Loch (Lolium remotum)
  • Taumel-Lolch (Lolium temulentum)
  • Hartweizen (Triticum durum)

Nicht anfällige Pflanzenarten

  • Unbegrannte Trespe (Bromus inermis)
  • Weiche Trespe (Bromus mollis)
  • Wiesen-Knäuelgras (Dactylis glomerata)
  • Hühnerhirse (Echinochloa crus-galli)
  • Gemeine Quecke (Agropyron repens)
  • Wiesen-Schwingel (Festuca pratensis)
  • Wiesen-Rispengras (Poa pratensis)
  • Lieschgras (Phleum pratense)
  • Rotes Kanariengras (Phalaris arundinacea)
  • Kolbenhirse (Setaria italica)
  • Grüne Borstenhirse (Setaria viridis)
  • Mais (Zea mays)

Symptome

Befallene Pflanzen sind verzwergt und stehen einzeln oder in Nestern bzw. Reihen. Der Befall kann auch großflächig über den Bestand verteilt sein.

Folgende Symtome sind häufig zu beobachten:
Vergilbung, grüne bis gelbe Flecke, Verzwergung, verstärktes Bestocken, Ährenausbildung kann unterbleiben, Absterben der Pflanzen

Lokalisierung des Virus in der Pflanze

Das WDV kommt ausschließlich im Phloem des Gefäßbündelsystems der Pflanzen vor. Es ist im Phloem der gesamten Pflanze verteilt.

Hintergrund: Übertragung

Das Weizenverzwergungvirus, auch Wheat dwarf virus (WDV) genannt, ist ein Geminivirus, das durch Insekten übertragen wird. Es handelt sich hierbei um Zwergzikaden der Art Psammotettix alienus (Dahlbom 1851), auch Wandersandzirpe genannt. Wirtspflanzen des Vektors entstammen ausschließlich der Familie „Poaceae“. Von den ackerbaulich relevanten Kulturen werden vor allem Wintergerste, Winterweizen, Triticale und Hafer befallen; auch Sommergetreide kann infiziert werden.
Wie das durch Blattläuse übertragene Gerstengelbverzwergungsvirus, BYDV, das aber zu den Luteoviridae gehört, kommt das WDV ausschließlich im Phloem der Wirtspflanzen vor, vermehrt sich dort und verbreitet sich in der gesamten Pflanze.
Die Folge einer Infektion mit WDV können erhebliche Ertragsverluste sein. Im Extremfall kann das Umbrechen eines befallenen Bestandes ökonomisch sinnvoll sein.

Übertragung durch eine Zwergzikade

Zwergzikade Psammotettix alienus (Dahlbom 1851), der einzige Vektor, der WDV und BDV übetragen kann.

Zwergzikade Psammotettix alienus (Dahlbom 1851), der einzige Vektor, der WDV und BDV übetragen kann.

Das Weizenverzwergungvirus wird von der Zwergzikade Psammotettix alienus (Dahlbom 1851) verbreitet. Es ist der einzige Vektor, der das Virus übertragen kann. Im Vergleich zu Blattläusen, die eine große Anzahl anderer pflanzenpathogener Viren verbreiten, sind Zikaden mobiler und deshalb noch effektivere Virusüberträger. Während des Saugvorgangs an der Wirtspflanze werden über die stechend-saugenden Mundwerkzeuge der Zikade die Viren abgegeben bzw. aufgenommen. Die Virusübertragung findet auf persistentem Weg statt, d.h. ein längeres Saugen an der Wirtspflanze ist für eine Virusaufnahme bzw. –abgabe notwendig; kurze Kontakte des Insekts mit der infizierten Pflanze reichen für eine Übertragung nicht aus. Die Dauer der Virusaufnahme (Aquisitionszeit) beträgt Minuten oder ist noch länger. Wird das Weizenverzwergungsvirus erstmalig von einer Zikade aufgenommen, vergehen Tage bis Viruspartikel wieder abgegeben werden (Latenzzeit). Die Zikaden bleiben sehr lange (80 Tage und länger) infektiös, auch Häutungen führen nicht zu einem Verlust dieser Eigenschaft. Das Virus wird im Vektor nicht vermehrt.

Entwicklung des Virusüberträgers

In der Regel treten zwei Generationen des Virusvektors von Psammotettix alienus auf. In witterungsmäßig günstigen Jahren und an warmen Standorten kann sich aber auch eine dritte Generation ausbilden (Manurung et al. 2000). Das Ei-Stadium ist das Stadium, in dem die Zikade überwintert. Die Viren gelangen nicht in das Ei, so dass eine Weitergabe von Generation zu Generation unterbleibt. Die Ei-Ruhe (Dormanz) wird durch den Kurztag im Spätsommer/Herbst induziert. Aufgehoben wird die Dormanz durch Kühle im Frühjahr (Manurung et al. 2000). Freilandökologische Erhebungen der Universität Halle zur Populationsdynamik von Psammotettix alienus in Sachsen-Anhalt aus den Jahren 1999-2001 (Manurung et al. 2000, 2001 und 2002) ergaben, dass ca. Ende April die Larven aus den Eiern schlüpfen. In der Folge entwickeln sich 5 verschiedene Larvenstadien (L1-L5). All diese Stadien und die erwachsenen Tiere (Imagines) sind zur Aufnahme und Weitergabe des Virus befähigt sind, wobei die jüngeren Larvenstadien effektivere Vektoren sind. Die Imagines erschienen in Abhängigkeit von der Witterung Mitte Mai bis Mitte Juni. Die Larven der zweiten Generation traten in diesen Studien ab Ende Juni/Anfang Juli und die ersten Imagines der zweiten Generation ab Ende Juli auf. Der Anteil virusübertragender adulter Individuen schwankte in Abhängigkeit von der Jahreszeit und erreichte maximal ca. 80%.

Infektion und Ausbreitung in Beständen

Im Herbst bzw. Frühjahr infizieren die Zikaden die jungen Bestände. Während der Vegetationsperiode übertragen die mobilen Zikaden dann das Weizenverzwergungsvirus innerhalb eines Bestandes sowie von Bestand zu Bestand. Neben wachsendem und reifendem Getreide sowie Ausfallgetreide werden im Spätsommer und Herbst Neuaussaaten befallen.
Der virusbedingte Schaden ist eng korreliert mit der Abundanz der Virusvektoren sowie deren Aktivität; beides ist eng verknüpft mit dem Witterungsverlauf. Ein warmer Herbst begünstigt die Aktivität der Zikaden und somit den Befall von neu ausgesätem Getreide, so dass – wie in diesem Jahr beobachtet – der Virusbefall im darauffolgenden Jahr beträchtliche Ausmaße annehmen kann. Untersuchungen von Sandgren und Lindblad in Schweden zeigten aber, dass die Zikaden auch bei Temperaturen von 10-15 °C noch aktiv sind, Pflanzen befallen und die Krankheit weiter verbreiten. Auch das Absterben der Tiere im Herbst wird von den herrschenden Wetterbedingungen (Kälteeinbrüche und Fröste) bestimmt, wobei die Männchen deutlich früher als die Weibchen sterben. Das Absterben der Weibchen erfolgt bei einer Temperatur kleiner als minus 5 °C.

Virusquellen

Neben jungen Getreidebeständen, die schon im Herbst befallen und virusinfiziert wurden, und in denen WDV auch den Winter hinweg überdauern kann, sind perennierende Gräser wie Lolium- und Poa-Arten als dauerhafte Virusquellen epidemiologisch von Bedeutung.

Andere Übertragungswege

Eine mechanische Übertragung des WDV kann ausgeschlossen werden, ebenso wie eine Übertragung durch Kontakt von Pflanzen zu Pflanze. Das Virus wird auch nicht durch Samen oder Pollen weiterverbreitet.

Nachweis

WDV und BDV können serologisch mittels ELISA nachgewiesen werden. In der Routinediagnostik ist der ELISA die Methode der Wahl. Allerdings erlauben die für den ELISA zur Verfügung stehenden Antikörper keine Differenzierung der beiden Viren. Molekularbiologisch ist ein sehr sensitiver und spezifischer Nachweis beider Viren über PCR möglich; die PCR kann auch zur Unterscheidung der beiden Viren verwendet werden. Als weitere Methode, die jedoch in der Routinediagnostik noch nicht weit verbreitet ist, gibt es die sogenannte „rolling circle amplification (RCA)“ (Schubert et al. 2007), die besonders bei der molekularen Charakterisierung der Viren zur Anwendung kommt.
Literatur
  • Manurung, B.; Witsack, W.; Mehner, S.; Grüntzig, M.; Fuchs, E. (2000): Vorläufige Ergebnisse zur Populationsdynamik der Zikade Psammotettix alienus (DAHLBOM, 1851) (Homoptera, Auchenorrhyncha), einem Vektor für Wheat dwarf virus (WDV). - Mitt. Biol. Bundesanst. Land-Forstwirtschaft 376, 557
  • Manurung, B.; Witsack, W.; Mehner, S.; Grüntzig, M.; Fuchs, E. 2001: Vorläufige Ergebnisse zur Effektivität der Zwergzikade Psammotettix alienus Dahlb. als Vektor für das Wheat dwarf virus (WDV) auf Wintergerste in Sachsen-Anhalt, Deutschland. DGaaE Nachrichten 4, 135-136
  • Manurung, B.; Witsack, W.; Mehner, S.; Grüntzig, M.; Fuchs, E. (2002): Untersuchungen zur Populationsdynamik und Generationsfolge des Virusvektors Psammotettix alienus Dahlb. (Hemiptera, Auchenorrhyncha) in Getreidefeldern. Arbeitskreis Populationsdynmik und Epidemiologie. DPG-Arbeitskreis „Populationsdynmik und Epidemiologie“, Abstracts der Tagung 2002
  • Schubert, J.; Habekuss, A.; Kazmaier, K.; H. Jeske (2007): Surveying cereal-infecting geminiviruses in Germany – Diagnostics and direct sequencing using rolling
    circle amplifi cation. – Virus Research 127: 61–70

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