Erfolgsstrategien in volatilen Milchmärkten - Chancen nutzen, Risiken abfedern!
Wir erleben die dritte Milchkrise in den vergangenen sechs Jahren. Seit Anfang 2014 sind die Milchpreise im Sinkflug. Aktuell geht es darum, das Preistal zu überstehen.
Milchzyklus schlägt seit 2006 voll durch
Die Milchbranche in Europa ist spätestens seit 2006 im freien Markt angekommen, die Milchkrise 2015 stellt daher kein neuartiges Phänomen mehr da: Eine kurze, aber völlig korrekte Erklärung für die gegenwärtigen Ereignisse als Folge von Angebot und Nachfrage auf den Weltagrarmärkten, Marktliberalisierungen in der EU und zunehmendem globalen Handel von Milch- und Milchprodukten.
Abbildung 1: Weltmilchpreis und Weltfuttermittelpreis
Strategische Ansätze
Es ist davon auszugehen, dass wir auch in Zukunft mit volatilen Agrarmärkten konfrontiert sind. Denn in der Europäischen Union finden sich zurzeit weit und breit keine Mehrheiten für die Wiedereinführung protektionistischer Maßnahmen. Milch- und Rinderbauern müssen somit ihre Betriebe in einem volatilen Umfeld strategisch ausrichten. Dazu zwei strategische Überlegungen: zum einen gilt die Maxime, zeitgerecht handeln, zum anderen ist die Wettbewerbsstrategie des Betriebes klar zu definieren und die Betriebsführung danach auszurichten.
Zeitgereicht handeln!
Abbildung 2: Veränderungen rechtzeitig einleiten
Verschiedene Strategien möglich
Kostenführerschaft
Abbildung 3: Strategien in der Milchproduktion
Produktdifferenzierung und Nischenmärkte
Will man sich überhaupt vom Weltmarkt lösen und somit nachhaltig den schwankenden Milchpreisen aus dem Weg gehen, braucht es alternative Strategien. Milchpreise können dann auf lange Sicht erhöht und geglättet werden, wenn mit dem Produkt Milch ein besonderer Nutzen für die Kunden (Strategie der Produktdifferenzierung) und/oder ein besonderer Markt (Nischenstrategie) entwickelt wird; beide Strategien verfolgen das Ziel, die Wertschöpfung in der Milchproduktion zu verbessern. Milchqualitäten wie Bio,- Bergbauern- oder Heumilch sowie die Direktvermarktung gehen in diese Richtung, wie die gegenwärtigen Milchpreise belegen. Nur solche Strategien sichern höhere und vom Weltmarkt unabhängigere Produktpreise, verlangen jedoch Kreativität und Innovationsbereitschaft seitens der Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter.
Einkommenskombination
Die Strategie der Diversifizierung bzw. Einkommenskombination baut auf mehreren inner- und außerbetrieblichen Standbeinen auf und ist vor allem bei knappen Flächen eine interessante Option. Auch bei dieser Strategie besteht weniger Abhängigkeit gegenüber Weltmarktpreisen, weil der Betrieb nur teilweise von der Milchproduktion lebt. Effizienter Arbeits- und Ressourceneinsatz sind die größten Herausforderungen für eine erfolgreiche Umsetzung dieser Strategie.
Liquiditätssicherung derzeit im Fokus
Liquidität dauerhaft sicherzustellen ist neben der Zielsetzung hoher Rentabilität und Stabilität eine der drei ökonomischen Säulen unternehmerischen Handelns. In der Milchviehhaltung wurde diese Säule aufgrund des relativ stabilen Marktgeschehens und des monatlichen Geldzuflusses durch das Milchgeld lange Jahre nur stiefmütterlich behandelt. Spätestens mit der dritten Milchpreiskrise in Verbindung mit teils hohen Überschussabgaben für die Überlieferung und verschärft durch Einkommensteuerzahlungen infolge sehr guter Vorjahre mit entsprechenden Gewinnen ist das Thema Liquidität in den Vordergrund gerückt.
Als Messinstrument für die Liquidität, also die Finanzkraft des Betriebs, ist das Girokonto grundsätzlich geeignet. In der Praxis ist aber eine wirkliche Übersicht schwierig, weil oft mehrere Girokonten (mehrere Betriebskonten, Privatkonto des Ehegatten, separates Konto beispielsweise für Photovoltaik oder Tilgung eines Darlehens) existieren.
Die Girokonten sind Spiegelbild der Geldflüsse im Betrieb. Das monatliche Milchgeld, die sonstigen betrieblichen oder gewerblichen Erträge, aber auch beispielsweise das Kindergeld stehen auf der Einnahmenseite. Rechnungen für Kraftfutter, Tierarzt, Strom, aber auch die privaten Lebenshaltungskosten und -versicherungen, die Tilgung betrieblicher oder privater Kredite, Pachten oder die Einkommensteuer stehen auf der Ausgabenseite („cash-Ausgaben“).
Cash flow als Maßstab für die Liquidität
Als Maßstab für die Liquidität hat sich der sog. Cash flow – bei dem es 3 Stufen gibt – durchgesetzt. Der Cash flow I betrachtet nur den Betrieb, bzw. den Betriebszweig, der Cash Flow III (cf III) die gesamten Ein- und Ausgaben im Betrieb und im privaten Bereich. Damit wird klar, dass die einzelbetriebliche Schmerzgrenze, ab der die Liquidität angespannt ist, sich von Betrieb zu Betrieb und auch während des Jahresverlaufs extrem unterscheidet. Im guten Jahr 2013/14 mit einem Milchpreis von über 40 ct/kg wurde laut der bayerischen Buchführungsauswertung ein Geldüberschuss zwischen 2 bis 18 ct/kg (cf III) erwirtschaftet – der Puffer für sinkende Milchpreise unterscheidet sich offensichtlich extrem stark. Berechnungen für Österreich verweisen auf ähnliche Streuungen (von knapp zehn bis über 20 ct/kg). Derjenige Betrieb, der hohe laufende betriebliche und private Ausgaben aufweist, aber in guten Jahren keine Liquiditätspuffer angespart hat, kann in der Phase niedriger Erzeugerpreise kaum mehr reagieren. Die Überprüfung sämtlicher Ausgaben ist Grundvoraussetzung, spürbare Entlastung bringt aber meist nur eine zumindest zeitweise Aussetzung von Tilgungsleistungen bzw. eine Inanspruchnahme günstiger Überbrückungskredite zur Vermeidung teurer Kontokorrentfinanzierungen. Auch hier gilt die Empfehlung, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Hausbank in guten Jahren aufgebaut werden sollte, um in Krisenzeiten frühzeitig Lösungen zu finden.
Je spezialisierter der Betrieb ist und je weniger er außerlandwirtschaftliche Einkünfte erzielt, desto abhängiger ist die Liquidität von der Preis- und Kostenentwicklung bei einem Produkt, in diesem Fall der Milch. Diversifizierungsstrategien hingegen machen den Betrieb robuster gegenüber Volatilitäten von Einzelprodukten.
Vollkosten als Wettbewerbskriterium
Gegenwärtig dreht sich die Diskussion um die Liquidität. Langfristig aber sollte aus unternehmerischer Sicht die Vollkostendeckung das Ziel sein. Dafür greift die Analyse des cash flow und auch des Gewinns (im Sinn der Buchführung) zu kurz. Mit der Deckung der Vollkosten sollen alle anfallenden Kosten der Produktion mit den Einnahmen abgedeckt und sog. Unternehmergewinne erwirtschaftet werden. Dies ist ein berechtigter unternehmerischer Ansatz, setzt aber im Familienbetrieb eine „fiktive“ Entlohnung von Produktionsfaktoren wie der eigenen Arbeitszeit oder Fläche voraus (sog. Faktorkosten). Die Kenntnis der tatsächlichen Zahlen des eigenen Betriebs ist dabei die Grundvoraussetzung, über Produktionskosten diskutieren zu können.
Abbildung 4: Rentabilitätsschwellen in der bayerischen Milcherzeugung
Einzelbetrieblich starke Unterschiede in den Vollkosten
Über die Jahre hinweg bestätigen sich Unterschiede in den bayerischen Produktions(voll)kosten von über 20 ct/kg, die Unterschiede in den cash-Kosten machen in den aktuellen Auswertungen rund sechs ct/kg aus. Damit kann die Antwort auf die Frage einer Erfolgsstrategie in der Milcherzeugung nicht an der Kostendiskussion vorbeigehen.
In Zeiten ohne Milchquotenregelung und vor dem Hintergrund (teils extrem) hoher Stallbaukosten ist die bestmögliche Kuhplatzverwertung ein wichtiger Indikator für den ökonomischen Erfolg. Gute Betriebe erwirtschaften in dieser Betrachtung ihren Vorsprung zum einen Teil auf der Leistungsseite – das betrifft vor allem den Milchverkauf -, auf der anderen Seite realisieren sie Kostenvorteile sowohl bei den Futterkosten (Kraft- und Grundfutter) als auch bei den Arbeitserledigungskosten.
Dabei darf die nach wie vor hohe Bedeutung der hier nicht eingepreisten Flächenförderungen der ersten Säule (Direktzahlungen) nicht übersehen werden. Je nach Betriebstyp und je nach regionaler Situation des Pachtmarktes sind diese Zahlungen elementar für die nachhaltige Wirtschaftlichkeit der Betriebe.
Fazit
Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit zwischen Gerhard Dorfner, Agrarökonom an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft, und Leopold Kirner, Hochschulprofessor an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik Wien, Institut für Unternehmensführung, Forschung und Innovation, entstanden. Die Erstveröffentlichung erfolgte in der Fachzeitschrift "Landwirt", Ausgabe 1/2016.
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