Inklusion
Arbeitsplätze für beeinträchtigte Menschen in der Landwirtschaft – Wie kann das funktionieren?

Junge Frau und junger Mann mit Beeinträchtigung mit Ihrem Betreuer.

Foto: Merklinger

Landwirtschaft und Inklusion sind vereinbar, das haben gute Erfahrungen im Betriebszweig der Sozialen Landwirtschaft gezeigt. Nach einer LfL-Befragung aus dem Jahr 2019 ist dort der Anteil an Betrieben, die Menschen mit Beeinträchtigung beschäftigen, mit rund 25 % erstaunlich hoch. Für die Betroffenen kann es ein Herzenswunsch sein, auf einem landwirtschaftlichen Betrieb mitzuarbeiten. Die Möglichkeiten für eine Beschäftigung sind vielfältig. Die Voraussetzungen müssen jedoch stimmen.

Nicht auf allen Betrieben gelingt die Eingliederung. Zeitdruck und hektische Arbeitsumgebungen sind ungünstig. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass Betriebe mit überschaubaren Arbeitsschritten und wiederkehrenden, nachvollziehbaren Tätigkeiten gute Voraussetzungen mitbringen. Menschen mit Beeinträchtigung arbeiten daher oft im Gemüse- und Obstbau, in Hofkäsereien oder in der Direktvermarktung. Soziale Kontakte mit Kollegen, Kunden oder Gästen auf dem Hof wirken sich dabei positiv aus. Ohne eine Anbindung des Betriebes an den ÖPNV, den der Mitarbeiter nutzen kann, geht es aber meist nicht. Was aber wohl die größte Herausforderung und eigentlich das wichtigste ist, sich immer wieder und beiderseits um gegenseitiges Verständnis zu bemühen. Das erfordert einen langen und fortlaufenden Lernprozess auf beiden Seiten. Eine gute Einbindung in staatliche Hilfs- und Beratungsangebote kann dabei helfen und entscheidend sein, ob die Inklusion auf dem landwirtschaftlichen Betrieb gelingt.

Wie kann der Betrieb den Inklusionsprozess unterstützen?

Inklusion beginnt im Kopf

Ein Jugendlicher und ein Mann mit Beeinträchtigung heben den rechten Daumen
Für Viktor Merklinger, Geschäftsführer vom Langlebenhof in Passau, ist klar: "Inklusion beginnt im Kopf". Er beschäftigt seit vielen Jahren Menschen mit Beeinträchtigung. Sie helfen mit auf dem Feld, bei der Weiterverarbeitung der Produkte und im Verkauf. Merklinger schätzt ihren Einsatz. Er beschreibt ihren Charakter als ehrlich, sensibel und loyal. Einen Betreuer sehen sie mehr als Familienmitglied. Echtes Interesse und Aufmerksamkeit gegenüber den Menschen mit Beeinträchtigung findet er daher wichtig. Er sieht die Inklusion auf seinem Betrieb als Bereicherung. Das Betriebsklima habe sich auf gute Weise verändert, der Umgang miteinander sei aufmerksamer und aufgeschlossener geworden.

Inselbegabungen erkennen

Wichtig und vielleicht die schwierigste Aufgabe sei es aber, die Begabungen des Mitarbeiters zu erkennen und herauszufiltern. Oft sind es sogenannte Inselbegabungen oder Teilleistungsfähigkeiten, für die der richtige Arbeitsplatz gefunden werden muss. Dann sind gute Leistungen und ein hohes Maß an Eigenständigkeit möglich. Sein Rat an landwirtschaftliche Betriebe: Einfach ausprobieren und Unterstützung suchen. Der Staat fördert solche Arbeitsplätze. Bei Arbeitgebern und Menschen mit Beeinträchtigungen ist das jedoch oft zu wenig bekannt.

Lernprozess

Im Hofladen – Betriebsleiter und Mitarbeiter beim Artikelauszeichnen.

Foto: Bayerischer Rundfunk

Menschen mit Beeinträchtigung kommunizieren auf unterschiedliche und vielleicht auch ungewohnte Weise, sagt Diplomsozialpädagogin Ines Schicht. Als Kommunikationsberaterin begleitet und berät sie seit vielen Jahren Menschen mit Behinderung, deren Angehörige und Mitarbeiter in Einrichtungen der Behindertenhilfe. Eine gute Kommunikation, so Schicht, erfordere einen fortlaufenden Lernprozess auf beiden Seiten. Darauf sollte sich der Betrieb einstellen. Ansonsten kann das Miteinander schwierig werden. Denn erst Kommunikation gibt die Möglichkeit, etwas abzulehnen und sich zwischen Optionen zu entscheiden. Für eine gute Zusammenarbeit und für das Gefühl, wirklich eingebunden zu sein, sei dies enorm wichtig. Entscheidungen sollte man dem Menschen mit Beeinträchtigung daher möglichst nicht einfach abnehmen, weil es schneller geht oder man meint, es besser zu wissen. Hilfreicher sei es, herausfinden, was der Mitarbeiter braucht, um seine Entscheidungen selbst treffen zu können.

Wo findet der Betrieb passende Mitarbeiter?

Im günstigsten Fall ergeben sich erste Kontakte aus dem näheren Bekannten- und Freundeskreis. Ansonsten kann es schwierig werden, einen passenden Mitarbeiter zu finden. Vorrangig können staatliche Stellen, die sogenannten Integrationsfachdienste (IFD) der Kostenträger für berufliche Rehabilitation, weiterhelfen. Sie beraten und vermitteln bei der Suche. Meist kommen Beschäftigte einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) in Frage, die die Werkstatt verlassen und lieber in einem “regulären“ Betrieb arbeiten wollen. Oder Abgänger von Förder- und Sonderschulen. Die Art der Beeinträchtigung kann dabei sehr unterschiedlich sein. Häufig sind es leichte bis mittlere Lernstörungen, soziale Verhaltensauffälligkeiten oder auch das Down-Syndrom.

Impulse geben

Ein junger Mann mit Beeinträchtigung steht mit verschränkten Armen im Gewächshaus.

Foto: Colourbox.de, #232319

Der Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt, zum Beispiel in den landwirtschaftlichen Betrieb, verlangt den Menschen mit Beeinträchtigung einiges an Mut und Anstrengung ab. Manchmal auch gegen äußere Widerstände. Nicht immer unterstützen Betreuer oder die Familie den Wunsch nach einem solchen Wechsel. Außerdem lassen die Mitarbeiter ein gutes Stück Sicherheit zurück, wenn sie z.B. die Rundumbetreuung einer WfbM und damit auch über lange Zeit gewachsene soziale Kontakte aufgeben. In der Praxis heißt das, dass auch im Umfeld jemand die Beschäftigung wollen und fördern muss. Es braucht jemanden, der immer wieder anstößt, Impulse gibt und weiter motiviert. Das kann ein Familienmitglied sein, ein Betreuer, eine gute Beratungsstelle oder der Betriebsleiter selbst.

Welche Beschäftigungsmöglichkeiten und staatlichen Hilfsangebote gibt es?

Möglichkeiten der Beschäftigung

Gesetzesbuch mit Richterhammer und Paragraphensymbol.

Foto: Colourbox.de, r.classen

Die Prämisse des reformierten Bundesteilhabegesetzes (BTHG) lautet, dass Menschen mit Beeinträchtigung ein so normales Leben wie möglich führen sollten und dafür auch der Zugang zum regulären Arbeitsmarkt erleichtert werden müsse. Für landwirtschaftliche Betriebe bietet die Reformierung des Gesetzes daher inzwischen mehr Möglichkeiten, Menschen mit Beeinträchtigung zu beschäftigen. Die Optionen unterscheiden sich im Hinblick auf Beschäftigungsdauer und Finanzierungsmöglichkeiten. Langfristige Beschäftigungsmodelle zielen auf eine dauerhafte Integration ab und können mit staatlichen Lohnkostenzuschüssen verbunden sein. Bei den sogenannten ambulanten Eingliederungshilfen ist der Aufenthalt kürzer und oft von vornherein auf ein halbes bis eineinhalb Jahre beschränkt. Der arbeitstherapeutische Aspekt steht hier im Vordergrund, der bei der Resozialisierung von Jugendlichen helfen soll.
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Ansprechpartnerin
Theresia Nüßlein
Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft, Institut für Agrarökonomie
Hans-Loher-Str. 32, 94099 Ruhstorf a.d.Rott
Tel.: 08161 8640-4639
E-Mail: Diversifizierung-IBA@LfL.bayern.de