LfL-Jahresbericht 2017
Big Data im Kuhstall: Der Bauernhof der Zukunft
Digitalisierung sorgt für mehr Tierwohl, bessere Arbeitsbedingungen und eine höhere Qualität
Wir sind mittendrin im Spannungsfeld zwischen Tierwohl und Wirtschaftlichkeit. Schon lange wünschen sich Landwirte eine Art „gläserne Kuh“, um die Tiere individueller zu betreuen. „Wir brauchen unbedingt die Daten von Einzeltieren, vor allem Aktivitäts- und Gesundheitsdaten“, sagt Helmut Konrad, Leiter des Lehr-, Versuchs- und Fachzentrums Almesbach, einer Einrichtung der LfL. „Unsere Landwirte stehen untereinander in einem starken Wettbewerb, auch international. Je früher Sensoren entstehende Erkrankungen beim Tier feststellen, desto schneller kann der Tierhalter reagieren“. In Zukunft könne der Tierhalter direkt per App alarmiert werden. Das Bild vom Landwirt auf dem Melkschemel gehört längst der Vergangenheit an. Die Arbeit haben in vielen Ställen vollautomatische Melkroboter übernommen, die gleichzeitig umfassende Daten über die Zusammensetzung der Milch liefern. Das sei aber erst der Anfang, sagt LfL-Experte Konrad.
Digitale Helfer im Herdenmagement
Die Digitalisierung bietet den Landwirten zahlreiche Chancen. Wie sich das in der Wirtschaftlichkeit der Betriebe niederschlagen wird, müsse noch durch intensive Untersuchungen herausgefunden werden. Klar ist aber, dass das gesamte Herdenmanagement und die Daten des einzelnen Tieres hinsichtlich Leistung, Fruchtbarkeit, Gesundheit und Tierverhalten in Zukunft komplett digital erfasst werden. Daran arbeitet die LfL. „Jede technische Entwicklung braucht Pioniere, die sie umsetzen“, sagt Konrad. „Vor allem die kommende Generation junger Landwirte wird die digitalen Helfer einsetzen, an denen wir aktuell arbeiten.“
Big Data - weit mehr als viele Zahlen
So könnten zum Beispiel Wiederkausensoren flächendeckend zum Einsatz kommen, um mehr Informationen über die Verdauung zu erhalten. Bei Kühen ist die Verdauung Dreh- und Angelpunkt für Wohlbefinden, Gesundheit und Leistung. Implantierte Chips können Daten über die Körpertemperatur und die Kreislaufaktivitäten melden. Konrad rät aber dazu: „Bei aller Technik dürfen wir unser Gehirn nicht abschalten.“ In seinem Lehr-, Versuchs- und Fachzentrum will er die Landwirte nicht zu künftigen IT-Experten und Datenanalysten ausbilden. „Im Grundsatz bleiben wir Landwirte, die sich die Technik zu eigen machen. Big Data heißt, dass wir nicht nur die rohen Daten von einer Maschine bekommen, sondern dass uns eine Software sämtliche Parameter auswertet und direkte Handlungsempfehlungen mitliefert.“
Software-Lösungen sollen für gesunde Kühe sorgen
Automatisierte Software-Tipps sollen also das Wissen der Landwirte ersetzen? Das Gegenteil ist der Fall. „Die Technik soll uns nicht ersetzten, sondern unser Know-how ergänzen, um mögliche Tierkrankheiten oder Unregelmäßigkeiten viel früher festzustellen“, sagt Konrad. So könne beispielsweise die Futterversorgung direkt angepasst werden. Es geht darum, die Tierernährung individuell zu gestalten. „Wir können durch die Daten herausfinden, wie die optimale Versorgung für das einzelne Tier ist. Dadurch lassen sich auch Futterkosten sparen. Zudem könne die Kuh gesünder leben, was sich auf das Lebensalter der Kühe positiv auswirkt. „Gerade für das Zuchtmanagement kann uns die Technik hilfreiche Daten liefern, sodass zukünftige Tiergenerationen länger leben und leistungsfähiger sind.“ Konrads Vision für die Zukunft: Der komplett vernetzte Kuhstall und eine benutzerfreundliche Software, die sicheren Datenschutz bietet, den Landwirt bei der Betreuung des Einzeltieres unterstützt, und so zur Entwicklung des Betriebes beiträgt.
Wir können das Wohlbefinden der Milchkühe genau beobachten und dafür sorgen, dass alle Tiere optimal versorgt werden.
Jede technische Entwicklung braucht Pioniere.
Gerade für das Zuchtmanagement kann uns die Technik hilfreiche Daten liefern.
Mit den Daten können wir potenzielle Krankheiten schneller erkennen und behandeln.
Melkroboter übernehmen die Arbeit und liefern wertvolle Daten
Vollautomatisch werden aber nicht nur Informationen zur Verfügung gestellt. Auch die körperliche Arbeit des Melkens ist längst automatisiert. Vor fast genau 20 Jahren, im Mai 1998, wurde einer der allerersten Melkroboter in Bayern an der LfL in Grub installiert. Damals noch sehr kritisch beobachtet, ist die Technik heute Standard und wird bei mehr als der Hälfte aller neu installierten Melkanlagen eingesetzt. Die Anschaffungskosten liegen bei circa 150.000 Euro. Die größte Neuerung des Melkroboters ist, dass das Melkzeug mithilfe von optischen Sensoren automatisch an das Euter der Kuh angesetzt wird. Der Landwirt muss damit beim Melken nicht mehr dauernd anwesend sein. Dadurch kann die Melkhäufigkeit jeder Kuh an ihre individuellen Bedürfnisse angepasst werden. Sie ist nicht mehr von den Arbeitszeiten des Landwirts abhängig. Die Kühe gewöhnen sich bereits nach sehr kurzer Zeit an den Ablauf. „Diese Geräte bringen uns jede Menge Vorteile“, sagt Dr. Jan Harms, Landtechnik-Experte der LfL, der die Entwicklung in Bayern seit der ersten Stunde begleitet.
Neben der Entkopplung der Bedürfnisse von Mensch und Tier ist beim Melkroboter viel mehr Sensorik und antriebstechnische Aktorik möglich, da mit einem Melkzeug 60 bis 70 Kühe gemolken werden können. „Jeder Melkvorgang liefert wertvolle Daten über die gewonnene Milch sowie über die Gesundheit und das Verhalten der Kuh“, sagt Harms. Der Melkroboter merkt sich, wann genau welche Kuh zum Melken kommt. War ein Tier länger nicht da, greift der Landwirt ein. So könnten beispielsweise Schmerzen an den Klauen das Problem sein. Darüber hinaus merkt sich der Roboter die Milchleistung und das Gewicht jeder einzelnen Kuh. Wenn beispielsweise die Michleistung von einem Tag auf den anderen signifikant sinkt, dann schlägt das System Alarm. „So können wir potenzielle Krankheiten schneller erkennen und behandeln“, sagt Harms.
Auch Daten beispielsweise zur Temperatur der Milch, deren Inhaltsstoffe sowie zur Melkgeschwindigkeit werden erfasst.
Das Management bleibt beim Menschen
Das Know-how des Landwirts ist natürlich immer noch entscheidend für das Wohl seiner Tiere und den wirtschaftlichen Erfolg des Betriebes. So lässt sich beispielsweise der Melkvorgang an die Bedürfnisse des Einzeltiers anpassen: Bei einer Milchkuh muss zum Melken das Hormon Oxytocin freigesetzt werden. Bei Tieren mit geringer Tagesmenge dauert es länger, bis das Hormon wirkt. Für diese Tiere kann der Landwirt eine längere Vorstimulation einstellen – damit der Melkvorgang erst beginnt, wenn die Wirkung des Oxytocins eingesetzt hat.
Ultraschall und Pedometer: Forschungsarbeit im digitalen Kuhstall
In der Forschung wollen Harms und seine Kollegen an der LfL die Tierhaltung weiter verbessern. Hierzu ist ihr digitaler Kuhstall neben der praxisüblichen Technik – wie dem Melkroboter oder der Kraftfutterstation – mit zahlreichen Instrumenten ausgestattet, um das Verhalten der Tiere noch besser zu verstehen. Elektronische Grundfutterwiegetröge zeichnen für die Forscher auf, welche Kuh wann, wo, wie lange und wieviel von welchem Futter frisst. Ultraschallsensoren über den Liegeboxen ermitteln, wie lange bestimmte Liegeboxen von den Tieren aufgesucht werden. Schrittzähler zeichnen das Liege- und Laufverhalten der Tiere detailliert auf. Über Radio-Frequency-Identification-Chips wird an Durchgangstoren, an der Kraftfutterstation und am Melkroboter erkannt, wann welche Kuh zum Fressen, zum Liegen oder zum Melken geht. Mit dieser Technik kann das individuelle Verhalten der Tiere berücksichtigt werden, sodass nicht nur einzelne Aspekte wie der Melkroboter, die Fütterung oder die Lüftung optimiert werden, sondern der ganze Stall bestmöglich den Bedürfnissen der Tiere entspricht. Natürlich hat das auch Grenzen, aber teure und damit knappe Ressourcen, wie beispielsweise die Platz- oder Melkkapazität, sollen so eingesetzt werden, dass beispielsweise auch rangniedere Tiere optimale Bedingungen vorfinden.
Datenaustausch genauer regeln: Alle sollen profitieren
„In Zukunft wollen wir noch genauere Daten erfassen und weitere Vorgänge im Kuhstall vernetzten“, sagt Harms. Dazu gehöre zum Beispiel die automatische Klimasteuerung oder die Grundfuttervorlage. Aber auch der Datenaustausch mit Unternehmen müsse in Zukunft genauer geregelt werden: Ein Arbeitsfeld der LfL. Dabei ist sicherzustellen, dass alle Seiten, also die Landwirte genauso wie die Tierärzte, Futtermittelhersteller oder Molkereien, davon profitieren können. Schließlich produzieren auch diese Partner der Landwirte eine Vielzahl an Daten und Informationen. Dass die Daten dann bis zum Endverbraucher durchgereicht werden, glaubt Harms nicht: „Für den Käufer von Milchprodukten sind diese Einzeldaten nicht besonders aussagekräftig. Für die Molkereien und deren Qualitätsmanagement hingegen schon.“
Big Data sorgt für weniger Arbeit, bessere Qualität und wirtschaftliche Betriebe
Klar ist, dass alle Seiten von der Digitalisierung und Big Data im Kuhstall profitieren sollen. Der Verbraucher bekommt Milchprodukte, die nach höchsten Qualitätsvorgaben und einem optimalen Einsatz von Ressourcen hergestellt wurden. Der Landwirt erspart sich nicht nur viel körperliche Arbeit, sondern kann früher als sonst auf Tierkrankheiten reagieren, den Futterbedarf anpassen, die Milchleistung steigern und damit seinen Betrieb wirtschaftlicher gestalten. Und natürlich profitieren die Tiere, die nun viel unabhängiger von den Arbeitszeiten des Menschen ihren Bedürfnissen nachgehen können. „Der Landwirt hat durch die Automatisierung und Digitalisierung jetzt zudem mehr Zeit, um individuell auf die Tiere einzugehen. Vor allem lernt er sie ganz anders kennen“, sagt Jan Harms.
Auch die Ernährungswirtschaft kann mit den neuen Daten Arbeitsabläufe wesentlich besser planen sowie die Produktqualität genauer überwachen. Aktuell gibt es auf dem Weg dahin aber noch viel zu tun für die Forscher. So sind die digitalen Helfer immer noch sehr teuer, es gibt noch zu wenige Schnittstellen zwischen ihnen und rechtliche Fragen zu den Daten sind zu klären. Auch wünscht sich mancher Landwirt, dass die Vielzahl an Dokumentationspflichten einfacher gestaltet wird.
Den Experten der LfL wird die Arbeit also so schnell nicht ausgehen. Fest steht aber schon heute: Big Data im Kuhstall und die intensive Digitalarbeit der LfL helfen allen Seiten, in Zukunft den Bedürfnissen im großen Spannungsfeld zwischen Tierwohl, Arbeitswirtschaft, Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit bestmöglich gerecht zu werden.
Detaillierte Informationen