Praxisinformationen
Zuchtwertschätzung Nutzungsdauer

Milchkuh mit Kalb liegend auf einer Wiese

Die Nutzungsdauer ist im Bereich der funktionalen Merkmale das wirtschaftlich wichtigste Merkmal in der Milchviehhaltung. Durch eine lange Nutzungsdauer kommt es zu einer vollen Ausnutzung des altersbedingten Leistungsmaximums, zu einer Reduzierung der anteiligen Aufzuchtkosten und zu einer höheren innerbetrieblichen Selektionsschärfe.

Die tatsächliche Nutzungsdauer hängt aber auch ganz entscheidend von der Milchleistung einer Kuh ab, weil einerseits Kühe mit schlechter Leistung früher gemerzt werden, andererseits der Bauer aber Kühen mit besonders hoher Milchleistung eine Sonderbehandlung zukommen lässt (z.B. bei der Anzahl der Besamungen). Daraus ist ersichtlich, dass diese direkt beobachtbare Nutzungsdauer nicht als Maßstab für die biologische Fitness herangezogen werden kann. Für die Selektion auf Fitness ist es notwendig, die Nutzungsdauer unabhängig von ihrer Leistung zu erfassen.
Ursachen für das Ausscheiden einer Kuh
Bei den möglichen Ursachen für das Ausscheiden einer Kuh ist zwischen leistungs- und fitnessabhängigen Faktoren zu unterscheiden. Eine „freiwillige“ (=leistungsabhängige) Merzung liegt vor, wenn eine gesunde aber unwirtschaftliche Kuh aus der Herde ausscheidet, während der Abgang einer profitablen, aber z.B. unfruchtbaren Kuh eine „unfreiwillige“ (=leistungsunabhängige) Merzung darstellt. Tierzüchterisch interessant ist die sogenannte funktionale oder leistungsunabhängige Nutzungsdauer, bei der der Effekt der leistungsbedingten Merzung im Rahmen der Zuchtwertschätzung rechnerisch ausgeschaltet wird, weil diese als Maßstab für Fitness und Vitalität angesehen werden kann.
Zu spät für die Zuchtwahl
Generell ist eine Zuchtwertschätzung für die Nutzungsdauer problematisch, weil diese erst am Ende des Lebens eines Tieres bekannt ist und damit zu spät für die Zuchtwahl kommt. Eine Lösung stellt die korrekte Berücksichtigung auch von noch lebenden Tieren (sogenannten zensierten Beobachtungen) mit Hilfe der sogenannten Lebensdaueranalyse (Survivalanalyse) in der Zuchtwertschätzung dar.
Durchführung
Die Zuchtwertschätzung für Nutzungsdauer wird bereits seit 1995 (Österreich) bzw. 1996 (Deutschland) durchgeführt. Seit 2001 erfolgt die ZWS durch die ZuchtData im Rahmen der gemeinsamen ZWS Deutschland-Österreich (Fuerst und Egger-Danner, 2002). Im Jahre 2012 erfolgte eine größere Umstellung, bei der auf eine neue Programmversion umgestellt, die Einflussfaktoren überarbeitet und die Hilfsmerkmale neu bewertet wurden.
Die Holstein-Zuchtwertschätzung wird vom VIT Verden in sehr ähnlicher Weise durchgeführt.

Daten

In die ZWS ND gehen alle Kühe aus Deutschland und Österreich ein, die seit 1990 abgegangen sind oder noch leben und deren erste Abkalbung mind. 120 Tage zurückliegt. Bei noch nicht abgeschlossener Laktation wird diese auf eine Standardlaktation hochgerechnet (Wood), um die relative Leistung innerhalb Herde berechnen zu können. Kühe, die zur Zucht verkauft werden bzw. Kühe aus Auflösungsbetrieben, werden in der ZWS als lebend (zensiert) betrachtet.
In der ZWS wird die Nutzungsdauer der Kühe nur bis maximal zur 7. Abkalbung berücksichtigt. Das Überleben in höheren Laktationen ist besonders stark durch Managemententscheidungen beeinflusst und könnte so zu Verzerrungen führen.
Die tatsächliche Nutzungsdauer war in den letzten Jahren in Bayern, Baden-Württemberg und Österreich weitgehend stabil (Abbildung 1a und 1b).
Liniendiagramm

Abb. 1a: Phänotypische Trends Fleckvieh

Liniendiagramm

Abb. 1b: Phänotypische Trends Braunvieh

Bild in Originalgröße

Modell

Genetische Parameter

Tab. 2: Heritabilitäten (h2) für die einzelnen Rassen.
Rasse(h2)
Fleckvieh0,120
Braunvieh0,124
Gelbvieh0,093
Pinzgauer0,164
Grauvieh0,145

Darstellung der Zuchtwerte

Die Zuchtwertschätzung erfolgt dreimal pro Jahr durch die ZuchtData. Die Zuchtwerte werden wie üblich als Relativ-Zuchtwerte mit einem Mittelwert von 100 und einer Streuung von 12 Punkten aufgrund der genetischen Standardabweichung ausgewiesen. Die Richtung wird so eingestellt, dass höhere Werte züchterisch wünschenswert sind. Die geschätzten Zuchtwerte werden für Stiere und z.T. auch für Kühe veröffentlicht.
Die Sicherheit wird approximativ ermittelt, wobei nur abgegangene Kühe berücksichtigt werden. Neben den Töchtern werden auch Enkelinnen und die Sicherheit von Vater und Muttersvater berücksichtigt.

Der genetische Trend der Nutzungsdauer ist für Fleckvieh und Braunvieh jeweils leicht steigend (siehe Abbildungen 10 und 11). Bei den Jahrgängen ab 2008 ist zu beachten, dass es sich dabei um genomische Zuchtwerte ohne Nachkommeninformation handelt.
Der genetische Trend der Nutzungsdauer ist für Fleckvieh und Braunvieh jeweils leicht steigend (siehe Abbildungen 10 und 11). Bei den Jahrgängen ab 2008 ist zu beachten, dass es sich dabei um genomische Zuchtwerte ohne Nachkommeninformation handelt.
Liniendiagramm

Abb. 10: Genetischer Trend für die Nutzungsdauer von Fleckviehtieren

Liniendiagramm

Abb. 11: Genetischer Trend für die Nutzungsdauer von Braunviehstieren

Interpretation der Zuchtwerte

Die besondere Schwierigkeit bei der Interpretation der Nutzungsdauer-Zuchtwerte liegt darin, dass das Merkmal leistungsunabhängige Nutzungsdauer in der Praxis nicht existiert. Als theoretischer Richtwert gilt, dass 12 Zuchtwertpunkte ungefähr einem halben Jahr Nutzungsdauer entsprechen. Um die grundsätzliche Interpretation der Nutzungsdauer-Zuchtwerte zu veranschaulichen, wurde der Zusammenhang zwischen dem Zuchtwert und der tatsächlichen Nutzungsdauer der Töchter bzw. dem Prozentsatz der Abgänge ausgewertet. Die durchschnittliche Nutzungsdauer hat bei Stieren, bei denen noch ein Großteil der Töchter lebt, wenig Aussagekraft. Deshalb wurden zur grafischen Darstellung nur Stiere aus den Jahrgängen 1995-2002 herangezogen, von denen bereits mindestens 80% der Töchter abgegangen sind. In den Abbildungen 12 und 13 ist der Zusammenhang zwischen dem ZW Nutzungsdauer der Väter und der durchschnittlichen Nutzungsdauer der Töchter ersichtlich. Die Nutzungsdauer der Töchter von Stieren mit einem Nutzungsdauer-ZW von 85 liegt nur bei ca. 2 ½ Jahren, wogegen Töchter von Stieren mit ND-ZW 115 beim Fleckvieh eine Nutzungsdauer von ca. 3 ½ und beim Braunvieh von fast 4 Jahren erwarten lassen. Das heißt, dass hier sehr deutliche Unterschiede bestehen!
Liniendigramm

Abb. 12: Zusammenhang zwischen ZW ND des Vaters und Nutzungsdauer der Töchter beim FV

Liniendigramm

Abb. 13: Zusammenhang zischen ZW ND des Vaters und Nutzungsdauer der Töchter beim BV

Dr. Christian Fürst
ZuchtData EDV-Dienstleistungen GmbH
Dresdner Straße 89/19
1200 Wien
E-Mail: fuerst@zuchtdata.at
Internet: www.zuchtdata.at