Forschungs- und Innovationsprojekt
Monitoring und Entwicklung von Verfahren zur Kontrolle von Schilf-Glasflügelzikaden und "SBR" im Zuckerrübenanbau
Syndrom der niedrigen Zuckergehalte – Syndrome Basses Richesses (SBR)
Die bakterielle Zuckerrübenkrankheit "SBR" (Syndrome Basses Richesses – Syndrom der niedrigen Zuckergehalte) wird von der Schilf-Glasflügelzikade als Vektor übertragen und tritt in Bayern erst seit 2019 auf. 2021 war bereits ca. die Hälfte der fränkischen Anbaufläche betroffen. Der Zuckergehalt befallener Rüben sinkt durch den SBR-Befall so stark, dass ohne geeignete Gegenmaßnahmen ein profitabler Rübenanbau kaum mehr möglich ist. Bisher sind in der Praxis keine wirksamen Bekämpfungsmöglichkeiten bekannt. Das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) fördert nun ein weiteres Forschungsprojekt, in dem der Flug bzw. die Ausbreitung der Zikade beobachtet und Möglichkeiten zu ihrer Kontrolle und zur Bekämpfung der bakteriellen Erreger selbst gefunden werden sollen.
Einleitung
Das Syndrome Basses Richesses (SBR) ist eine Bakteriose der Zuckerrübe, die zu einer Reduktion der Zuckergehalte um 2 bis 7 % (Absolutwerte) führen kann.
Typische Symptome sind:
- eine allgemeine Vergilbung der Schläge
- lanzettlich geformte junge Blätter
- sichtbare nekrotische Verfärbungen im Bereich der Gefäßbündelringe
Der genaue Verlauf sowie die Ursachen dieser Erkrankung sind bislang noch nicht vollständig aufgeklärt. Ursächlich beteiligt ist in jedem Fall das Bakterium Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus, ein nicht kultivierbares, phloembesiedelndes ɣ-Proteobakterium, das durch den Fraß der Nymphen und Adulten der Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus) auf die Zuckerrübe übertragen wird. Ebenfalls beteiligt ist ein Phytoplasma aus der Stolbur-Gruppe (Candidatus Phytoplasma solani). Phytoplasmen sind zellwandlose, nicht-kultivierbare Bakterien, die an zahlreichen Pflanzenkrankheiten weltweit beteiligt sind. Durch die zusätzliche Beteiligung der Phytoplasmen hat sich das Schadgeschehen in den betroffenen Gebieten nochmals deutlich verstärkt, so auch im Einzugsgebiet der Zuckerfabrik Ochsenfurt. Der Phytoplasmen-Befall ist nach derzeiger Kenntnis für das Auftreten sog. „Gummirüben“ verantwortlich. (Hierzu das Bild ganz unten im Dokument)
Im Jahr 2019 konnte der SBR-Erreger an Zuckerrübe erstmals in Bayern nachgewiesen werden und hat sich seither bereits auf die Hälfte der fränkischen Anbaufläche ausgebreitet. Zum ersten Mal festgestellt und beschrieben wurde die Krankheit 1991 im Burgund/Frankreich, 2007 erfolgte dann der Erstnachweis in Deutschland (Baden-Württemberg). Es ist davon auszugehen, dass sich der Befall mit beiden Erregern ausgehend von den befallenen fränkischen Regionen auch auf andere bayerische Anbaugebiete ausdehnen wird und somit den Anbau von Zuckerrüben in ganz Bayern bedroht.
Der lange Flugzeitraum der Schilf-Glasflügelzikade (Mai bis September) erschwert eine klassische chemische Bekämpfung mit Insektiziden. Neue Verfahren sollen daher hauptsächlich auf die im Boden lebenden Nymphen (Zikadenlarven), eine Abschreckung der adulten Zikaden, die Bekämpfung der mikrobiellen Erreger oder die Stärkung der Rübenpflanzen abzielen. Im Sinne des integrierten Pflanzenschutzes geht es darum, die Erkrankung durch unterschiedliche methodische Ansätze soweit wie möglich zu kontrollieren.
Ziele
Hauptziele des Projektes sind neben einem insgesamt besseren Verständnis von der Rolle der Schilf-Glasflügelzikade die Erarbeitung von Möglichkeiten zur Kontrolle und direkten Bekämpfung des Vektors sowie der SBR-Erreger selbst.
Folgende Aspekte sollen dabei näher betrachtet werden:
- Einfluss der Fruchtfolge auf die Zikadenentwicklung
- Möglichkeiten zur Bekämpfung oder Abschreckung adulter Zikaden
- Möglichkeiten zur direkten Bekämpfung der bakteriellen SBR-Erreger und Stärkung der Pflanzenabwehr
- Räumliche und zeitliche Ausbreitung des Vektors
- ggf. Einfluss des Bodenmikrobioms auf Zikadenentwicklung und Befall
Mit der Entwicklung effizienter Bekämpfungsstrategien kann der Anbau von Zuckerrüben in bayerischen Betrieben gesichert werden. Eine erfolgreiche Bekämpfung von SBR wird nach derzeitiger Kenntnis auch über die Anbauwürdigkeit von Zuckerrüben in den betroffenen Betrieben entscheiden.
Methoden
In Feldversuchen werden durch eine Zählung des Zikadenausfluges verschiedene Fruchtfolgen und Behandlungen auf ihre Wirkung auf die Zikadenentwicklung im Boden untersucht. Um den Zikadenausflug zu erfassen, werden auf den Parzellen Zelte aufgestellt, in denen Klebetafeln angebracht werden.
Um zu überprüfen, ob Repellents, Mikroorganismen, Biostimulanzien oder Mittel zur direkten Erregerbekämpfung auf die adulten Zikaden oder auf die Erregerpopulationen wirken, werden Zuckerrübenschläge mit verschiedenen Präparaten behandelt. Die biostatistische Auswertung von molekularbiologischen Bodenmikrobiom-Analysen sollen darüber hinaus erste Hinweise darauf liefern, ob mikrobielle Faktoren eine Rolle bei der Befallsentwicklung spielen können.
Vor allem am Rand des Verbreitungsgebietes der Schilf-Glasflügelzikade soll mittels Gelbtafeln ein Monitoring durchgeführt werden, um die Zikaden zählen und ihren Flug nachvollziehen zu können. So können Gemeinsamkeiten und Unterschiede (zum Beispiel Verbreitungsabhängigkeit von der Windrichtung oder dem Gelände) beim Zikadenflug in bestimmten Gebieten festgestellt werden.
Begleitend werden mittels etablierter PCR-Methoden regelmäßig Zikaden und Pflanzenproben laboranalytisch auf das Vorhandensein der SBR-Erreger untersucht.
Ergebnisse
Fruchtfolgeversuche
Ein Einfluss der Fruchtfolge auf die Zikadenentwicklung und somit auf die Ausflugsraten aus den Schlägen ist unbestritten – zahlreiche Ansätze haben sich bereits mit dieser Thematik befasst. Im Rahmen der in diesem Projekt durchgeführten Fruchtfolgeversuche ergaben sich jedoch widersprüchliche Ergebnisse: insbesondere der bisweilen (so auch im vorangegangenen Projekt) festgestellte reduzierende Effekt von Mais konnte nicht bestätigt werden – auch aus Mais als Fruchtfolgeglied flogen z.T. sehr viele Zikaden aus. Insgesamt konnte durch keine von der Standard-Folgefrucht Winterweizen abweichende Fruchtfolge eine signifikante Verbesserung erzielt werden. Die natürliche Variabilität und Heterogenität der Bestände und mikrostandörtliche Unterschiede mögen hierfür eine Erklärung sein. Dies schließt auch nach dem Roden verbliebene Rübenspitzen und -bruchstücke mit ein, die auch in einer sonst ungeeigneten Umgebung Nahrungsquellen für Zikadennymphen darstellen können. In den Versuchen 2024 wurde die Zahl der Zelte zur Zikadenerfassung erhöht, ohne dass dies die genannten Widersprüche beseitigt hätte.
Bodenbearbeitung
Eine tiefe Bodenbearbeitung mittels einer Spatenmaschine (bis zu 45 cm Bearbeitungstiefe) schien zumindest bei einem Einsatz im Herbst vor Winterweizen zu einer deutlichen Reduktion des Zikadenausfluges zu führen. Hier wurden nur noch ca. 5000 Zikaden/ ha gezählt – die geringsten Werte im Projektverlauf. Bei einem Frühjahrseinsatz vor Mais war dieser Effekt nicht zu beobachten. Ebenso wenig hatte der zusätzliche Einsatz von Branntkalk zusammen mit der Bodenbearbeitung einen Effekt.
In Zusammenarbeit mit dem Technologie- und Förderzentrum (TFZ) in Straubing wurde versucht, die Ausflugsraten der Zikaden durch den Einsatz von „flüssigem Mulch“ zu reduzieren. Dieser wurde in der Folgefrucht Mais ausgebracht und sollte als mechanische Barriere den Ausflug der Tiere aus dem Boden verhindern. Die Ergebnisse der Zikadenzählung zeigten, dass tatsächlich eine deutliche Reduktion erreicht wurde (um ca. 50%), die allerdings einem hohen technischen Aufwand gegenüberstand, der auch wirtschaftlich (noch) nicht tragfähig ist.
Demgegenüber hatte eine Einbringung von Stroh zwischen die Rübenreihen – gedacht als Mittel zur Verwirrung der Zikaden und Verhinderung der Eiablage im Rübenbestand – keinen nachweisbaren Effekt auf die Infektionsraten und Zuckererträge.
Bekämpfung/ Abschreckung
Hier ergaben sich nach Einsatz verschiedenster Präparate in Zuckerrüben (Insektizide, Repellents etc.) keine Effekte auf Symptomatik und Zuckerertrag.
Inzwischen hat sich jedoch nicht nur im hier betrachteten Projekt gezeigt, dass die durchgeführten (Klein-) Parzellenversuche ungeeignet sind, solche Präparate zu testen. Die hohe Mobilität der Zikaden führt dazu, dass die behandelten Parzellen unmittelbar wiederbesiedelt werden, bzw. die Zikaden den Präparaten durch „Flucht“ in die Nachbarparzellen ausweichen können. Diese Erkenntnis hat u.a. dazu geführt, dass mittlerweile vermehrt Großparzellen- oder Streifenversuchen durchgeführt werden (so im Rahmen der von Südzucker initiierten Versuche), die besser geeignet sind, die Wirkung solcher Anwendungen zu erfassen. Möglicherweise ergeben sich hierdurch neue Lösungsansätze, die in Kleinparzellenversuchen zunächst nicht erfolgreich waren.
Zikaden- und Erregermonitoring
Mittlerweile kommt die Schilf-Glasflügelzikade mehr oder weniger im gesamten fränkischen Zuckerrüben-Anbaugebiet vor. Darüber hinaus ist im Zuge von weiteren Monitoring-Aktivitäten festzustellen, dass sich der Vektor auch in anderen bayerischen Anbaugebieten auf dem Vormarsch befindet.
Obwohl noch nicht gänzlich geklärt ist, welcher der beiden bakteriellen Erreger für welches genaue Schadbild verantwortlich ist, ist davon auszugehen, dass beider Erreger an den beobachteten Schäden beteiligt sind. Im Vergleich zu 2023 ist 2024 die Beladungsrate der Zikaden mit den beiden Erregern im Projektgebiet tendenziell angestiegen, insbesondere der Anteil von Stolbur- bzw. mit beiden Bakterien beladenen Tieren ist gestiegen. Ca. 80% der Tiere tragen einen der beiden oder beide Erreger. Dies spiegelt sich auch in den Infektionsraten der Zuckerrüben wider, die ebenfalls einen hohen Prozentsatz von Stolbur- bzw. doppelt infizierten Pflanzen zeigen.
Im Verlauf des Projekts zeigte sich – nicht nur im Projektgebiet – eine insgesamt zunehmende Komplexität des Schadgeschehens: nicht nur die zunehmende Ausbreitung in der Rübe macht hierbei Sorge, auch die Kartoffel ist als weitere Wirtspflanze in den Fokus gerückt. Daneben sind auch verschiedene Gemüsekulturen in zunehmendem Maße von Stolbur und/ oder Arsenophonus betroffen, vermutlich ebenfalls übertragen durch die Schilf-Glasflügelzikade. Dies alles erzeugt eine Situation, die hinsichtlich Bekämpfung oder Eindämmung der Zikade immer unübersichtlicher wird, da zahlreiche Wirtspflanzen für Vektor und Erreger zur Verfügung stehen.
Im Zuge von molekularbiologischen Untersuchungen an Stolbur-Stämmen aus dem Projektgebiet und anderen Regionen konnte eine klare Differenzierung von Stämmen aus Zuckerrüben und solchen aus Kartoffeln bzw. Gemüsekulturen nachgewiesen werden. Die bayerischen Zuckerrüben-Stämme entsprechen dabei denjenigen, die jüngst als neue 16SrXII-P Untergruppe aus Sachsen-Anhalt beschrieben wurden, während die Kartoffel-Stämme den „traditionellen“ Stolbur-Stämmen zuzurechnen sind, die insbesondere aus Süd- und Südost-Europa schon länger aus verschiedenen Kulturen bekannt sind. Dies ist relevant hinsichtlich der Ausbreitungs-geschichte des Erregers. Weitere Untersuchungen sollen zeigen, ob sich die beiden Stolbur-Populationen im Rahmen des weiteren Schadgeschehens mischen und die Differenzierung somit verschwindet. Beim zweiten Erreger Arsenophonus sind dagegen keine solchen genetischen Differenzierungen bekannt.
Starke Symptomatik in einem fränkischen Zuckerrübenbestand durch Befall mit SBR (Candidatus Arsenophonus) und Stolbur (Candidatus Phytoplasma), aufgenommen im Oktober 2023.
Projektleitung: Dr. Jan Nechwatal, IPS 2b; Dr. Luitpold Scheid, IPS 3c
Projektpartner: Dr. Klaus Ziegler, Verband Fränkischer Zuckerrübenbauer e.V. (VFZ)
Projektbearbeitung: VFZ, IPS 2b
Laufzeit: 01.10.2022 bis 31.03.2025
Finanzierung: Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF)
Förderkennzeichen: A/22/08