Praxisinformationen
Zuchtwertschätzung für Exterieurmerkmale

Tierbeurteilung spielt schon seit dem Beginn der Tierzucht eine wichtige Rolle. Aus dem anfänglichen Formalismus, bei dem versucht wurde, Leistungseigenschaften aus Form- und Farbmerkmalen abzuleiten, entwickelte sich über die Jahrzehnte eine systematische Tierbeurteilung. Aus der Erkenntnis heraus, dass hohe Leistungen nur von gesunden und widerstandsfähigen Tieren erbracht werden können, wurden zahlreiche Exterieurmerkmale abgeleitet, die eine planmäßige Zucht auf einen gesunden Körperbau ermöglichen.

Wie bei allen züchterisch interessanten Merkmalen steht aber auch bei der Tierbeurteilung nicht die phänotypische Leistung, d.h. das äußere Erscheinungsbild der Tiere, im Vordergrund. Für die züchterische Verbesserung von Eigenschaften ist der genetische Anteil an der Leistung, ausgedrückt als Zuchtwert, entscheidend. Nur so kann das genetische Leistungsvermögen, z. B. eines Besamungsbullen, genau erfasst werden. Bis zum Jahr 1997 erfolgte die Veröffentlichung der Exterieurbewertung als Relativzahl, wobei nur eine Korrektur um den Beurteiler erfolgte. Weitere Umwelteinflüsse, wie z. B. das Herdenniveau konnten hingegen nicht berücksichtigt werden und vermengten sich mehr oder minder mit dem Zuchtwert. Eine exakte Einschätzung des genetischen Leistungsvermögens wurde mit der Einführung der Tiermodell-Zuchtwertschätzung möglich, bei der der Einfluss systematischer Umwelteinflüsse auf die Noten in der Nachzuchtbewertung rechnerisch ausgeschaltet wird.Eine neue Ära der Exterieur-Zuchtwertschätzung begann mit der Einführung der genomischen Zuchtwertschätzung für Exterieurmerkmale bei Fleckvieh und Braunvieh im Jahr 2011. Der letzte große Schritt in der Exterieur-ZWS war die Umstellung auf die Single-STEP-Zuchtwertschätzung beim Fleckvieh und Braunvieh in den Jahren 2019 und 2020. Bei den Zuchtwertschätzungen für die Rassen Gelbvieh, Vorderwälder und Pinzgauer handelt es sich weiterhin um ein klassische konventionelle Zuchtwertschätzung.

Dokumentation "Die Zuchtwertschätzung für Exterieurmerkmale"

Die Ergebnisse der Nachzuchtbewertung als Datengrundlage für die Zuchtwertschätzung Exterieur

Euter einer FleckviehkuhZoombild vorhanden

Abb 1: Sehr enger Strichabstand bei einer Fleckviehkuh

Auch oder insbesondere in Zeiten der genomischen Zuchtwertschätzung ist eine objektive Leistungsprüfung die Grundlage für aussagekräftige nicht-verzerrte Zuchtwerte. Eine solche objektive Leistungsprüfung setzt klar definierte Merkmale und eine einheitliche Bewertung dieser Merkmale voraus. Zurzeit werden bei Fleckvieh und Gelbvieh Zuchtwerte für 4 Hauptmerkmale und 20 Einzelmerkmale und beim Braunvieh Zuchtwerte für 4 Hauptmerkmale und 26 Einzelmerkmale sowie ein Zuchtwert für eine Exterieur-Gesamtnote geschätzt (Tab. 1). Allerdings muss sich auch die Exterieur-ZWS an Veränderungen in den Populationen anpassen. So wurde beim Fleckvieh auf einen immer enger werdenden Abstand zwischen den Hinterstrichen (Abb. 1) mit der Einführung des neuen Eutermerkmals "Strichplatzierung hinten" im Frühjahr 2019 reagiert.

Tabelle 1: Exterieurmerkmale und deren Heritabilitäten bei Braunvieh, Fleckvieh, Gelbvieh und Pinzgauer pdf 152 KB

Exterieurzuchtwertschätzung eine internationale Zuchtwertschätzung

Die Exterieurzuchtwertschätzung ist heute eine internationale Zuchtwertschätzung. Beim Braunvieh sind die deutschen Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern sowie Österreich beteiligt, beim Fleckvieh nehmen zusätzlich Hessen, Tschechien, Italien und seit Dezember 2023 die Slowakei an der Zuchtwertschätzung teil. Tabelle 2 zeigt die der Zuchtwertschätzung zu Grunde liegenden Daten und deren Verteilung auf die an der Zuchtwertschätzung beteiligten Länder sowie den Anteil typisierter Kühe.

Tabelle 2: Datenumfang der Zuchtwertschätzung Dezember 2023 bei den Rassen Fleckvieh, Gelbvieh, Pinzgauer, Vorderwälder und Braunvieh pdf 183 KB

Internationale Harmonisierung durch FleckScore und BrownScore

Die Datenerfassung erfolgt in allen an der Zuchtwertschätzung beteiligten Ländern für die Einzelmerkmale verbindlich nach dem System der linearen Beschreibung. Dieses System der Bewertung von Kühen auf einer Skala von 1-9 Punkten wurde sowohl beim Fleckvieh als auch beim Braunvieh auf europäischer Ebene harmonisiert. Für die Hauptnoten Rahmen, Bemuskelung, Fundament und Euter sowie Becken beim Braunvieh wird aufgrund der Beschreibung der Einzelmerkmale eine Vorschlagsnote auf Basis eines 100-Punktesystems berechnet. Die eigens hierfür entwickelten Programme BrownScore und FleckScore werden in allen an der ZWS beteiligten Ländern eingesetzt.

Programm FleckScore Externer Link

In beiden Programmen werden zur Berechnung der Vorschlagsnoten die Beiträge aus den Einzelmerkmalen gemäß ihrer Auswirkungen auf die Nutzungsdauer gewichtet.

Programm BrownScore Externer Link

LiniendiagrammZoombild vorhanden

Abb. 2: Zusammenhang zwischen der Nutzungsdauer und den Hauptnoten beim Fleckvieh

Innerhalb der Einzelmerkmale, ist dabei das Optimum, d.h. der größte Beitrag des entsprechenden Merkmals, ebenfalls an der Bedeutung für die Nutzungsdauer, ausgerichtet (Abb. 2). Der ausgewiesene Vorschlag für die Komplexe Fundament und Euter sowie für die Beckennote beim Braunvieh kann vom Beurteiler um +/- 3 Punkte abgeändert werden. Somit ist das Auge der Experten weiterhin gefragt, um den Vorschlag tierspezifisch adaptieren zu können. Das Populationsmittel liegt laktationsunabhängig bei Fleckvieh und Braunvieh bei 80 Punkten. Dabei reicht die Skala von 68-93 Punkten beim Fleckvieh und von 65-95 Punkten beim Braunvieh. Heute hat die Harmonisierung der Bewertungen ein sehr hohes Niveau erreicht. Dieses wird durch regelmäßige nationale und internationale Bewerterschulungen auf Basis von BrownScore und FleckScore sowie durch ein intensives Monitoring aller Beschreibungen gewährleistet. FleckScore wird aber nicht nur in den Ländern, die an der ZWS beteiligt sind, eingesetzt, sondern es bildet die Basis der Exterieurbeurteilung in allen wichtigen europäischen Fleckviehländern. Einige dieser Länder bekunden bereits Interesse, an der gemeinsamen Zuchtwertschätzung teilzunehmen, was durch die vergleichbare Datenbasis erleichtert wird.

Von den Töchtern aus dem klassischen Prüfeinsatz zu typisierten Töchtern aus Kuhlernstichproben

Die exakte Leistungsprüfung im Bereich der Exterieurmerkmale basiert auf der Bewertung von zufällig ausgewählten Töchtern eines Bullen in der ersten Laktation. In der Vergangenheit waren dies Töchter aus dem klassischen Prüfeinsatz. Mit Einführung der genomischen Selektion ersetzen zufällig ausgewählte Töchter aus den ersten Besamungen die bisherigen Prüfbullentöchter. Auch hier ist eine Anpaarung genomischer Jungvererber an eine zufällige Stichprobe der Population anzustreben. Die Beschreibung von Töchtern geprüfter Bullen (Vergleichstiere) bewirkt eine bessere Verwandtschaftsstruktur auf der mütterlichen Seite (verbesserte Abschätzung des Anpaarungsniveaus), verbessert die Verknüpfungen zwischen den an der Zuchtwertschätzung beteiligten Ländern und ermöglicht die direkte Berücksichtigung des Betriebes im Zuchtwertschätzmodell.

Linear beschriebene und typisierte Töchter aus verschiedenen Projekten zu Kuhlernstichproben sind heute ein wichtiger Bestandteil der Single-Step-Zuchtwertschätzung und ergänzen das klassische System der Töchterauswahl. Zusätzlich werden auf zahlreichen Betrieben ein Großteil der Erstkalbskühe typisiert. Tabelle 3 zeigt, dass heute bereits ca. 40% aller linear beschriebenen Kühe typisiert sind. Hierbei gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Rassen und Ländern.

Tabelle 3: Anteil typisierter Kühe an den aktuell linear beschriebenen Kühen (Beginn Bewerterjahr 2023 bis Datenschnitt Dezember 2023) bei Fleckvieh und Braunviehraunvieh pdf 160 KB

Genomische Zuchtwertschätzung auf Basis eines Tiermodells

Ergebnisdarstellung

Die geschätzten Zuchtwerte der einzelnen Merkmale werden standardisiert und als Relativzuchtwerte ausgewiesen. Gleitende Basis bilden gegenwärtig im Dezember 2023 bei Fleckvieh die 4-6 Jahre alten Kühe (geboren zwischen Dezember 2016 bis November 2019) und bei Brown Swiss die 6-8 Jahre alten Kühe (geboren zwischen Dezember 2014 bis November 2017). Die Basisgruppen für die kleinen Rassen sind beim Gelbvieh die 8-10 Jahre alten Kühe (geb. zw. Dezember 2012 bis November 2015 und für Pinzgauer und Vorderwälder, wie bei Brown Swiss, die 6-8 Jahre alten Kühe. Das Mittel der Basis beträgt 100 und die Streuung der wahren Relativzuchtwerte 12 Punkte. Neben der Sicherheit für das Euter wird, wenn vorhanden, zusätzlich die Anzahl der Töchter eines Bullen angegeben.

Die Relativzuchtwerte Exterieur werden in Form eines Balkendiagramms veröffentlicht. Zur leichteren Orientierung wird bei Merkmalen mit intermediärem Optimum der erwünschte Bereich (Tab. 4) mit einem Rechteck gekennzeichnet. Abb. 5 zeigt das Balkendiagramm für einen Fleckviehbullen, Abb. 6 das Balkendiagramm für einen Braunviehbullen.

Neben den Exterieurzuchtwerten wird ebenfalls auf Mängel (Tab. 5) aufmerksam gemacht, die ebenfalls im Rahmen der Nachzuchtbewertung erfasst werden. Für diese Mängel werden keine Zuchtwerte geschätzt; überschreitet die Anzahl der Töchter, die einen bestimmten Mangel aufweisen, aber eine festgesetzte bewerterkorrigierte Häufigkeit, dann wird dieser Mangel im Prüfbericht veröffentlicht. Im Fleckvieh-Prüfbericht in Abb. 5, findet sich für den Mangel "milchbrüchig" der Vermerk "gelegentlich: milchbrüchig“. Ein solcher Mängelreport setzt linear beschriebene Töchter voraus, findet sich also nicht bei genomischen Jungvererbern. Beim Fleckvieh vervollständigt eine kurze Beschreibung der Farbvererbung den Exterieurbericht.
Balkendiagramm für einen Fleckviehbullen

Abb. 5: Balkendiagramm für einen Fleckviehbullen

Balkendiagramm für einen Braunviehbullen

Abb. 6: Balkendiagramm für einen Braunviehbullen

Sprunggelenke von den Hinterbeinen einer Kuh

Abb.7: Sprunggelenkswinkelung im Optimalbereich

Tabelle 4: Optimalbereiche für die Exterieurmerkmale
MerkmalOptimalbereich
Braunvieh
Optimalbereich
Fleckvieh
Rahmen---97 - 103
Kreuzhöhe97 - 103---
Bemuskelung100 - 103---
Beckenneigung97 - 10397 - 103
Oberlinie105 - 111---
Umdreher105 - 111---
Sprunggelenkswinkelung97 - 10390 - 96
Fessel105 -111---
Euterbalance97 - 103---
Strichlänge100 - 10697 - 103
Strichdicke100 - 10697 - 103
Strichplatzierung vorn94 - 100113 - 119
Strichplatzierung hinten94 - 10097 - 103
Strichstellung 97 - 10397 - 103
Tabelle 5: Übersicht über die Mängel/Besonderheiten bei Braunvieh und Fleckvieh
BraunviehFleckvieh
Fundament und BeckenVorderbein verstellt
Lockere Schulter
Hessig gestellt
Rollklaue
Spreizklaue
Schwellung am Kniegelenk
Überhöhter Schwanzansatz
Eingefallener Mastdarm
Vorderbein verstellt
Lockere Schulter
Hessig gestellt
Rollklaue
Spreizklaue
Enges Becken
Abgedachtes Becken
EuterÖdemeuter
Seitlich enger Strichabstand
Striche milchbrüchig
Seitlich stark geviertelt
Striche nach vorne gestellt
Ödemeuter
Gestuftes Euter
Striche milchbrüchig
Vorderstriche nach außen gespreizt
Striche nach vorn gespreizt
Striche hinten kurz
Sonstige MängelSenkrücken
Nierendruck

Zusammenhänge zwischen Heritabilität, Sicherheit und Töchterzahl

Bei der Ergebnisdarstellung im Balkendiagramm wird aus Gründen der Übersichtlichkeit nur die Sicherheit für den Euterzuchtwert dargestellt. Insgesamt unterscheiden sich aber die Sicherheiten der einzelnen Merkmale deutlich. Diese sind von der Anzahl bewerteter Töchter und von der Heritabilität (Erblichkeiten, s. Tab. 1) des Merkmals abhängig. Tabelle 6 verdeutlicht diese Zusammenhänge für das Fleckvieh.
Tabelle 6: Sicherheit der Single-Step-Zuchtwerte in Abhängigkeit von der Töchterzahl und der Heritabilität des Merkmals bei Fleckvieh
Sicherheit des Zuchtwerts
Anzahl TöchterEuter
h2 = 0,24
Kreuzhöhe
h2 = 0,47
Fundament
h2 = 0,11
Trachten
h2 = 0,08
0 (GJV*)84806865
3088937570
5091958076
7092968379
10093978783

* genomischer Jungvererber

Bei 50 bewerteten Töchtern eines Bullen beträgt die Sicherheit des Zuchtwerts für die Kreuzhöhe 95 %, für das niedrig heritable Merkmal Trachten aber nur 76 %. Die höhere Sicherheit Euter im Vergleich zur Kreuzhöhe bei den genomischen Jungvererbern ist auf den mit 10 % niedrigeren Polygenanteil im Euter (Kreuzhöhe 25 %) zurückzuführen.

Interbull-Zuchtwertschätzung beim Braunvieh

Zusammenhänge zwischen den Noten der Nachzuchtbewertung und den genomischen Zuchtwerten

Genetische Trends

Ansprechpartner:
Dr. Dieter Krogmeier
Institut für Tierzucht
Prof.-Dürrwaechter-Platz 1
85586 Poing-Grub
Tel.: 08161 8640-7142
Fax: 08161 8640-7199
E-Mail: Tierzucht@lfl.bayern.de

Sitzende Person

Dr. Dieter Krogmeier