Praxisinformationen
Zuchtwert Persistenz

Das Durchhaltevermögen bei Milchleistungsmerkmalen über den Laktationsverlauf wird als Persistenz bezeichnet.

Bei gleicher Laktationsleistung wird eine niedrige Laktationsspitze mit einem folgenden flachen Verlauf der Milchleistungskurve über die Laktation als vorteilhaft bezeichnet. Durch den ausgeglicheneren Leistungsverlauf kommt es zu einer niedrigeren negativen Energiebilanz am Laktationsbeginn mit positiven Auswirkungen auf die Fruchtbarkeitssituation und die Gesundheit der Tiere. Überdies kann bei flach verlaufenden Laktationskurven mehr Milch aus billigeren Grundfuttermitteln erzeugt werden. Aufgrund dieser Argumente wuchs auch bei den Rinderzüchtern das Interesse das Durchhaltevermögen auf genetischer Ebene zu bearbeiten. Für die Rassen Fleckvieh, Braunvieh, sowie die regional beschränkt vorkommenden Rassen Gelbvieh, Pinzgauer, Tiroler Grauvieh, Vorder- und Hinterwälder wird am Institut für Tierzucht der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft eine Zuchtwertschätzung für Milchleistungsmerkmale mit Betrachtung des Merkmals Persistenz vierteljährlich durchgeführt.

Tägliche Zuchtwerte

Mit der Einführung des länderübergreifenden Testtagsmodells für Deutschland und Österreich zur Zuchtwertschätzung im November 2002 stehen Informationen über die tägliche genetische Leistungsfähigkeit über den Laktationsverlauf zur Verfügung. Die Veröffentlichung der Zuchtwerte für die Merkmale Milch-, Fett- und Eiweißmenge erfolgt zwar nach wie vor als 305-Tage Zuchtwert, jedoch basiert dieser auf den geschätzten täglichen Zuchtwerten aus dem Testtagsmodell. Diese täglichen Zuchtwerte können als Kurve für die erste, zweite und weitere Laktationen, sowie für alle drei Mengenmerkmale separat gezeichnet werden. Da es sich bei den Zuchtwertkurven um den Verlauf der geschätzten additiv genetischen Werte handelt, sind hier keine Einflüsse des Laktationsstadiums, der Trächtigkeit und anderer Umwelteinflüsse mehr enthalten.
Jeder Zuchtwert wird in der Regel als Abweichung von einer definierten Basisgruppe dargestellt. Die durchschnittliche Form der Zuchtwertkurven dieser Basistiere ist eine horizontale Linie mit dem Zuchtwert Null an jedem Laktationstag. Die Kurven von Einzeltieren in der Basisgruppe können jedoch sehr unterschiedlich sein. Der durchschnittliche Relativzuchtwert für das Merkmal Persistenz beträgt für diese Tiere im Durchschnitt 100.

Ergebnisse zur aktuellen Zuchtwertschätzung

Praktische Bedeutung des Zuchtwertes Persistenz

Zur Verdeutlichung der praktischen Zusammenhänge zwischen dem Persistenzzuchtwert und der phänotypischen Leistung soll ein Beispiel von zwei Bullennachkommenschaften betrachtet werden. Die Bullen haben bei einer ähnlich guten Vererbung der Milchleistungsmerkmale einen extrem unterschiedlichen Zuchtwert Persistenz. Bulle A gehört zu den 2,6 Prozent schlechtesten Vererber im Merkmal Persistenz, während Bulle B zu den besten 6,4 Prozent gehört.
Durchschnittliche Töchterabweichungen im Merkmal Milchmenge (kg) in sieben Laktationsabschnitten der ersten drei Laktationen für die Bullen A und B.Zoombild vorhanden

Durchschnittliche Töchterabweichungen

Um die Unterschiede im Laktationsverlauf darzustellen, wurden von den phänotypischen Leistungen der Töchter alle in der Zuchtwertschätzung berücksichtigten Umwelteinflüsse (inklusive dem Einfluss des Laktations- und Trächtigkeitsstadiums) sowie der halbe Zuchtwert des Anpaarungspartners abgezogen. Übrig bleiben dann noch die sogenannten umweltkorrigierten Töchterabweichungen, die zum Zuchtwert eines Bullen beitragen. In Abbildung 2 sind diese Leistungsabweichungen für die beiden Bullen als tägliche Durchschnittswerte in jeweils 50 Tagesabschnitten der ersten bis dritten Laktation dargestellt. Die Töchter des Bullen A haben im Durchschnitt einen Vorteil von bis zu 1,2 kg Milch am Anfang der Laktation, während die Töchter von Bulle B im zweiten und dritten Drittel der zweiten und dritten Laktation bis zu 1,8 kg höhere Beiträge zum Zuchtwert aufweisen.
Die Nachkommenschaften der beiden Bullen zeigen biologisch zu erwartende abfallende Laktationsverläufe, der Abfall der Milchleistung bei den Töchtern des Bullen A ist im Durchschnitt um etwa 2,2 kg stärker als bei den Töchtern des Bullen B. In der Regel weichen die Zuchtwerte von zwei alternativ zur Anpaarung anstehenden Bullen wesentlich weniger im Zuchtwert Persistenz voneinander ab als bei dem gezeigten Beispiel. Die Unterschiede im Durchhaltevermögen fallen dementsprechend niedriger aus.

Definition der Persistenz und Beziehung zu anderen Zuchtwerten

Persistenzzuchtwert ist gleich der Fläche unter einer individuellen Zuchtwertkurve (rot) minus einer "virtuellen" nicht abnehmenden Zuchtwertkurve zwischen dem Laktationstag 60 und 300.Zoombild vorhanden

Persistenzzuchtwert

Der im November 2002 eingeführte Zuchtwert Persistenz schließt Informationen über den Zuchtwertverlauf in der ersten, zweiten und der dritten Laktation ein. Da bei der Berechnung der Zuchtwertkurve der dritten Laktation auch alle späteren Laktation einbezogen werden sind auch diese im Zuchtwert Persistenz berücksichtigt. Liegen für eine Kuh bzw. für die Töchter eines Bullen noch keine Leistungsbeobachtungen aus allen Laktationsstadien bzw. aus den höheren Laktationen vor, so werden die Zuchtwerte und Zuchtwertverläufe mit Hilfe der Beziehungen zu den bereits vorliegenden Leistungen und den Verwandten geschätzt. Es werden somit auch Zuchtwertverläufe für junge Bullen mit Töchtern am Laktationsanfang geschätzt.
Bei der Definition des Zuchtwertes Persistenz im Testtagsmodell wurde versucht den Zuchtwertverlauf in die Merkmalsdefinition einzubeziehen. Die Persistenz ist definiert als die Abweichung der individuellen Zuchtwertkurve eines Tieres zwischen dem Laktationstag 60 und 300 von einer unverändert hohen Zuchtwertkurve ab Laktationstag 60. In Abbildung 1 ist dies grafisch dargestellt. Fällt die individuelle Zuchtwertkurve ab dem Laktationstag 60 ab, so ist der Persistenzzuchtwert negativ, steigt sie an im Laktationsverlauf, so ist er positiv.
Ein großer Teil des Energieaufwandes der Kuh für die Milchproduktion wird zur Erzeugung der Fett- und Eiweißmenge aufgebracht. Aus diesem Grund wird bei der Definition des Merkmals Persistenz der Verlauf der geschätzten Zuchtwertkurven für die Fett- und Eiweißmenge einbezogen. Dies unterscheidet den Persistenzzuchtwert zum bisher gewohnten aus dem Laktationsmodell, der nur die Zuchtwerte der Milchmenge einbezogen hat. Basierend auf den Zuchtwertkurven der drei Mengenmerkmale Milch, Fett und Eiweiß wird die Persistenz für die fett-eiweiß-korrigierte Milchleistung (FECM) berechnet:
FECM= 0,30 * ZW-Milchmenge + 11,67 * ZW-Fettmenge + 6,62 * ZW-Eiweißmenge.
Die Persistenzzuchtwerte für die FECM der ersten, zweiten und dritten Laktation werden mit jeweils gleichem Gewicht zusammengefasst. Der Relativzuchtwert Persistenz ist im Durchschnitt der Basistiere 100 mit einer Streuung von 12 Punkten bei einer theoretischen Sicherheit von 100 Prozent.

Beziehungen zu anderen Zuchtwerten

Es bestehen zwischen dem Persistenzzuchtwert und dem Milchwert, einem Index aus den Zuchtwerten für Fett- und Eiweißmenge, innerhalb von einzelnen Bullenjahrgängen nahezu keine Beziehungen. Das bedeutet, dass nicht jeder Bulle mit hoher Veranlagung für Fett- und Eiweißleistung einen schlechten Persistenzzuchtwert und nicht jeder Bulle mit niedrigem Milchwert einen hohen Persistenzzuchtwert haben muss.
In der praktischen Zuchtarbeit wird sehr häufig die Erwartung geäußert, dass die Persistenz sehr stark mit der Nutzungsdauer verknüpft ist. Die genetischen Beziehungen zwischen dem Zuchtwert Persistenz und dem Zuchtwert für funktionale Nutzungsdauer liegen jedoch nur in einem sehr niedrigen bis niedrigen Bereich bei den Rassen Fleckvieh und Braunvieh. Ein Grund dafür könnte in der Komplexität der Nutzungsdauer liegen, die von sehr vielen genetischen Merkmalskomplexen abhängig ist.

Abschließende Betrachtung

Neben dem Zusammenhang zwischen dem Zuchtwert Persistenz und den gezeigten phänotypischen Auswirkungen soll an dieser Stelle auch auf die ökonomische Bewertung des Merkmals Persistenz hingewiesen werden. Der Zuchtwert Persistenz wird im Gesamtzuchtwert, einem Index über Milchleistungs-, Fleischleistungs- und Fitnessmerkmale, mit einem relativen Gewicht von 1,8 Prozent bei der Rasse Fleckvieh berücksichtigt; der ökonomische Wert eines Persistenz-Zuchtwertpunktes wurde dafür mit 0,24 Euro im Laktationsmodell abgeleitet. Ein Milchwertpunkt hat in Abhängigkeit von der Sicherheit und dem Verhältnis der Fett- und Eiweißmengenzuchtwerte ein wirtschaftliches Gewicht von etwa 5 Euro. Das bedeutet, dass ein Punkt im Index Milchwert aus ökonomischer Sicht sehr viel mehr wert ist, als ein Zuchtwertpunkt im Merkmal Persistenz.
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass mit dem Zuchtwert Persistenz ein Maß für das "genetische Durchhaltevermögen" eines Tieres zur Verfügung steht, dass unabhängig von den Einflüssen des Laktations- und Trächtigkeitsstadiums zu Selektionsentscheidungen herangezogen werden kann. Bei der Berücksichtigung dieses Zuchtwertes in der praktischen Zuchtarbeit sollte jedoch der ökonomische Wert des Merkmals im Vergleich zu anderen ökonomisch wichtigen Merkmalen beachtet werden.