Neue Wohn- und Pflegeformen im ländlichen Raum – Das Konzept am Schulhauser Hof: Interview

Seniorin im Rollstuhl wird von der Pflegefachkraft im Garten vom Schulhauser-Hof geschobenZoombild vorhanden

Foto: Sepp Grafenau

Seit über 25 Jahren bietet Berta Schulhauser gemeinsam mit ihrer Familie eine besondere Form der Pflege und Betreuung auf ihrem Bauernhof an. Als eine der Pionierinnen auf diesem Gebiet hat sie eine alternative Wohn- und Pflegestruktur geschaffen, die sich bewusst von den traditionellen Pflegeheimen abhebt. Im Gespräch erzählt sie von ihrem Weg, den Herausforderungen und Chancen der Pflege im ländlichen Raum sowie den Erfahrungen, die sie und ihre Familie auf ihrem Hof gemacht haben. Dieses Interview gibt einen Einblick in ein innovatives Konzept, das soziale Verantwortung, familiäre Nähe und professionelle Pflege miteinander verbindet.

Wie hat sich die Pflegestruktur seit Ihren Anfangsjahren verändert, und welche Rolle spielt Ihr Angebot als Alternative zu herkömmlichen Pflegeheimen?

Ich sehe uns als Alternative zur herkömmlichen Heimstruktur. Diese Alternative ist heute genauso wichtig wie vor 25 Jahren, weil die Pflegestruktur wieder im Umbruch ist. In meinen Anfangsjahren, Ende der 90er, gab es nur Pflegheime ab 70 Betten aufwärts. In der Regel waren es 120 bis 180 Plätze, die Heime wurden meist von gemeinnützigen Trägern geführt und waren in Ballungszentren mit entsprechender Infrastruktur angesiedelt. Circa 10 Jahre später kam dann der Wandel mit dem Trend zu kleineren Häusern, vielleicht auch bedingt dadurch, dass mehr private Träger auf den Markt kamen.

Wie bist du darauf gekommen ein Pflegeheim auf deinem Hof umzusetzen?

Eine Seniorin gießt ein Hochbeet mit Kräutern mit einer GießkanneZoombild vorhanden

Foto: Sepp Grafenau

Mit knapp 40 Jahren wurde ich durch eine schwere Berufskrankheit aus meiner leitenden Position in einem kaufmännischen Betrieb gezwungen, mich beruflich neu zu orientieren. Da mein Einkommen immer ein wichtiges zweites Standbein für unseren Hof war, standen wir vor der Herausforderung, eine neue Perspektive zu finden. Bei einem Beratungsgespräch im Landwirtschaftsamt wurde ich auf eine Ausbildung aufmerksam, die hauswirtschaftliche Dienstleistungen und Pflege kombinierte. Das war für mich eine ganz neue Welt – durch die Praktika in verschiedenen Pflegeheimen kam ich zum ersten Mal mit Pflege in Berührung. Mir wurde schnell klar, dass ich in Zukunft in diesem Bereich arbeiten wollte, aber nicht so, wie es in den üblichen Pflegeheimen unter großen Trägern möglich war. Die klassische Heimstruktur entsprach nicht meinen Vorstellungen. Deshalb entschied ich mich für den Weg der Selbstständigkeit und Eigeninitiative – was viel Mut und Durchhaltevermögen erfordert. Meine Ideen, Pflege auf dem Bauernhof im eigenen Wohnhaus in einer familiären, kleinen Einheit anzubieten, wurden damals oft als "Spinnerei" belächelt, denn es gab keine vergleichbaren Modelle.

Wo haben Sie sich Unterstützung geholt?

Behörden und Kostenträger waren zunächst skeptisch, doch ich fand gute Unterstützer auf Landrats- und Regierungsebene. Besonders das Amt für Ländliche Entwicklung (ALE), das sich schon mit sozialen Dienstleistungen auf dem Bauernhof beschäftigte, half mir weiter. Trotzdem musste ich meinen eigenen Weg finden und Schritt für Schritt das Konzept entwickeln, das wir heute leben.

Wie ist Ihr Betrieb heute strukturiert und welche Veränderungen gab es im Laufe der Zeit?

Unser Betrieb besteht zum einen aus dem landwirtschaftlichen Teil, den wir bereits an unsere Tochter Sandra übergeben haben. Sie betreibt Färsenmast, Ackerbau, Grünlandbewirtschaftung und Forstwirtschaft. Mein Mann, der inzwischen in Rente ist, unterstützt sie dabei. Zum anderen gibt es auf dem Hof unser Wohn-Pflege-Haus. Anfangs hatten wir in unserem eigenen Wohnhaus sechs Kurzzeitpflege-Plätze, in Zusammenarbeit mit einem Pflegedienst, sowie drei Plätze im betreuten Wohnen. Im Jahr 2003 haben wir uns entschieden, ein neues Pflegeheim zu errichten, das wir ohne Fördermittel gebaut haben. Bis 2019 führten wir einen Heimbetrieb mit 42 Betten. Aufgrund neuer baulicher Vorgaben habe ich mich jedoch dazu entschieden, von der vollstationären Pflege auf teilstationäre Angebote umzustellen, da die Wirtschaftlichkeit bei geringerer Bettenzahl nicht mehr gewährleistet war.

Können Sie uns einen Überblick über Ihre Pflege- und Wohnangebote geben?

Geranien, eine Figur und verschiedene Blumen dekorieren den GartenZoombild vorhanden

Foto: Sepp Grafenau

Auf unserem Hof betreiben wir eine solitäre Tagespflege mit 17 Plätzen, die von Montag bis Freitag jeweils von 8:00 bis 16:00 Uhr geöffnet ist. Den Hol- und Bringdienst haben wir extern vergeben. Für die Tagespflege beschäftigen wir sieben qualifizierte Mitarbeiter. Außerdem gibt es bei uns im Haus eine ambulante Wohngruppe mit 12 Plätzen, die von einem externen Pflegedienst betreut wird. In diesem Bereich sind wir als Vermieter und hauswirtschaftlicher Dienstleister tätig, die Leistungen können frei gewählt werden. Zudem haben wir einen hauswirtschaftlichen Dienstleistungsbetrieb mit vier Mitarbeitern hier am Standort. Zusätzlich gibt es noch eine kleinere Wohneinheit mit betreutem Wohnen. In unserer Gemeinde, nur etwa fünf Minuten entfernt, betreibt meine Tochter Monika das betreute Wohnen im Haus "Maria Schutz" mit 16 Appartements. Auch dort sind die Dienstleistungen frei wählbar. Darüber hinaus gibt es einen ambulanten hauswirtschaftlichen Dienst mit zwölf Mitarbeitern, die nicht nur im Haus "Maria Schutz" tätig sind, sondern auch Privathaushalte in der Umgebung betreuen.
"Für meine Familie und mich war es die richtige Entscheidung. Ich bin sehr stolz auf meine Töchter, dass sie die Arbeit mit Herzblut leisten."

Wie finanzieren Sie die Angebote?

Über Versorgungsverträge mit den Pflegekassen und dem Sozialamt, die mit der Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassen verhandelt werden müssen.

Wie kontrollieren Sie die Qualität der Pflege und Dienstleistungen?

Der Medizinische Dienst prüft Pflege- und Betreuungsleistungen in der Tagespflege und Wohngemeinschaft. Das Gesundheitsamt kontrolliert die Großküche, und die FQA sowie Gesundheitsamt prüfen die Wohngemeinschaft.

Wie sind die Aufgaben innerhalb der Familie verteilt?

Ich bin Heimleitung und zuständig für Personalführung, Organisation, Hauswirtschaft, Angehörigenbetreuung und Beratung. Meine Tochter Sandra macht Verwaltung, Abrechnungen und Verträge. Tochter Monika ist Altenpflegerin und leitet das Haus "Maria Schutz". Man sieht, das ist kein Unternehmen nur für eine Generation.

Wie ist das Personal strukturiert?

Wir verfügen über einen eigenen Mitarbeiterpool. Wir brauchen eine Pflegedienstleitung mit Stellvertreterin, examinierte Altenpfleger, Pflegehelfer und Betreuungskräfte gemäß § 53b SGB XI. Die Personalquote richtet sich nach der Bewohnerzahl und Pflegegraden und wird bei Qualitätsprüfungen kontrolliert.

Welche Besonderheiten hat Ihr Standort im ländlichen Raum?

Wir sind ein Weiler mit drei Höfen, keine Infrastruktur, 6 km vom nächsten Ort mit Arzt und Einkauf entfernt. Der Standort bedeutet keinen Nachteil bei Mobilität oder Mitarbeiterwerbung. Die familiäre Atmosphäre und Naturverbundenheit sind für alle sehr wichtig.
Unser großer Vorteil sind die familiäre Atmosphäre und die überschaubare Struktur. Wir sind mitten in der Natur, umgeben von Maisfeldern und Wiesen, und die Jahreszeiten erlebt man hier anders – vom Säen bis zum Ernten. Soziale Kontakte spielen bei uns eine große Rolle, da jeder jeden kennt und es keine Anonymität gibt, was auch durch die Gäste der Tagespflege verstärkt wird.
Die Senioren treffen sich am Schulhauser Hof im Gemeinschaftsraum um Mittag zu essen. Zoombild vorhanden

Foto: Sepp Grafenau

Unsere Tagesgäste kommen aus einem Umkreis von etwa 16 Kilometern, wodurch täglich viel Leben und Gesprächsstoff in unserem Haus ist. Wichtig ist uns auch die Einbindung der Gäste und Mitarbeiter entsprechend ihrer persönlichen Ressourcen. Es gibt viele Tätigkeiten, die übernommen werden können, wie Hauswirtschaftsarbeiten (Wäsche zusammenlegen, Backen, Tisch decken) oder musische Aktivitäten (Singen, Vorbeten, Maiandacht gestalten). Dabei richten wir uns ganz nach den Vorlieben und Abneigungen unserer Gäste. Das Wichtigste für uns ist, dass die zu Betreuenden sich noch wichtig fühlen und ihren Willen durchsetzen können, was natürlich auch eine Herausforderung für unser Team bedeutet.
„Soziale Kontakte spielen bei uns eine große Rolle, da jeder jeden kennt und es keine Anonymität gibt, was auch durch die Gäste der Tagespflege verstärkt wird.“

Welche grundlegenden Überlegungen sollte man anstellen, bevor man einen Pflegedienst oder eine betreute Wohnform auf dem Land gründet?

Wichtig ist zuerst die Bedarfsermittlung: Man muss herausfinden, was in der Region wirklich gebraucht wird. Es macht wenig Sinn, eine Tagespflege zu eröffnen, wenn im Umkreis von 4-6 km schon eine existiert. Man sollte sich gut überlegen, welches Angebot man macht, um ein regelmäßiges Einkommen zu sichern. Außerdem muss man seine Ressourcen genau prüfen: Habe ich bereits geeignete Gebäude oder muss ich umbauen? Welche finanziellen Mittel stehen zur Verfügung? Will ich klein anfangen und langsam wachsen oder direkt groß investieren? Auch die Verfügbarkeit von qualifizierten Mitarbeitern aus der Region spielt eine große Rolle. Letztlich sind es viele Faktoren, die man vor der Gründung genau abwägen muss.

Welche Herausforderungen und Verantwortungen bringt die Führung eines privaten Pflegebetriebs mit sich?

Als privater Träger trägt man eine sehr große Verantwortung – nicht nur gegenüber Bewohnern und Tagesgästen, sondern auch für die Mitarbeiter und die Qualität der Dienstleistungen. Man hat Pflichten gegenüber Kunden und Kostenträgern. Bei größeren Organisationen kann man Entscheidungen an die Chefetage delegieren, bei uns als Familienbetrieb liegt alles auf den eigenen Schultern. Deshalb braucht man ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Eigeninitiative, vor allem auch bei der Entwicklung neuer Angebote und der Zusammenarbeit mit anderen Dienstleistern. Es ist wichtig, flexibel zu bleiben und die Freiheit zu nutzen, eigene Entscheidungen vor Ort treffen zu können.

Wie bewerten Sie die zukünftige Entwicklung der Pflege und welche Änderungen wären aus Ihrer Sicht dringend nötig?

Pflegefachkräfte und Seniorinnen unterhalten sich auf der Terasse und lachen gemeinsam

Foto: Sepp Grafenau

Ich sehe großen Handlungsbedarf, vor allem bei der Gesetzgebung. Es müssten kleinere Pflegeeinheiten mit etwa fünf Plätzen gefördert werden, da die Pflege so, wie sie heute organisiert ist, langfristig nicht mehr finanzierbar und realisierbar sein wird. Viele ältere Menschen könnten mit etwas Unterstützung im Alltag länger zuhause bleiben, wenn es eine verlässliche Tagesstruktur gäbe – zum Beispiel durch regelmäßige Mahlzeiten und Betreuung, um Probleme wie Medikamentenmissbrauch oder den Verlust des Tag-Nacht-Rhythmus zu vermeiden. Gleichzeitig bin ich klar dagegen, pflegerische Tätigkeiten an ungeeignete Hilfskräfte auszulagern, da das zu erheblichen Defiziten führen kann. Und ganz generell wünsche ich mir einen Abbau der Bürokratie, damit mehr Zeit für die Pflege und Betreuung bleibt. Weiterhin ist ein Bürokratieabbau ist dringend nötig, um Pflege auf dem Land zu erleichtern und flexibler zu gestalten.
Wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg und Freude an Ihrer Arbeit.
"Es müssten kleinere Pflegeeinheiten mit etwa fünf Plätzen gefördert werden, da die Pflege so, wie sie heute organisiert ist, langfristig nicht mehr finanzierbar und realisierbar sein wird."

Der Schulhauser Hof bietet Tagespflege, eine ambulante Wohngruppe und betreutes Wohnen an.

Der Schulhauser Hof bietet Tagespflege, eine ambulante Wohngruppe und betreutes Wohnen an.

Eine Seniorin gießt ein Hochbeet mit Kräutern mit einer Gießkanne

Die Bewohner:innen können durch die anregende Umgebung eines Bauernhofs Selbstwirksamkeit erfahren.

Pflegefachkräfte und Senioren halten sich am Ufer eines Weihers auf

Der Schulhauser Hof macht mit seinen Bewohnern oft Ausflüge in die Umgebung des Bauernhofes, wie hier an den nahegelegenen Weiher.

Seniorin im Rollstuhl wird von der Pflegefachkraft im Garten vom Schulhauser-Hof geschoben

Der Schulhauser Hof ist durch die familiäre Atmosphäre ein gefragter Arbeitsplatz auch für Pflegekräfte.

Geranien, eine Figur und verschiedene Blumen dekorieren den Garten

Die Senioren können sich in einem großen Bauerngarten aufhalten.

Die Senioren treffen sich am Schulhauser Hof im Gemeinschaftsraum um Mittag zu essen.

In hellen Gemeinschaftsräumen gibt es Mittagessen, das von der hauseigenen Küche stammt.

Seniorin im Rollstuhl wird von der Pflegefachkraft im Garten vom Schulhauser-Hof geschoben

Der Schulhauser Hof ist durch die familiäre Atmosphäre ein gefragter Arbeitsplatz auch für Pflegekräfte.

Pflegefachkräfte und Seniorinnen unterhalten sich auf der Terasse und lachen gemeinsam

Soziale Kontakte spielen eine große Rolle.

Auf dem Foto sind alte Obstbäume, sowie eine landwirtschaftliche Halle aus Holz zu sehen

Der Standort befindet sich inmitten von Wiesen und Feldern.

Das Foto zeigt Berta Schulhauser, wie sie lächelt.

Berta Schulhauser hat vor über 25 Jahren die besondere Form der Pflege und Betreuung auf ihrem Hof gegründet.

Weitere Informationen über den Schulhauser-Hof:

Bildnachweis:
Fotos: Sepp Grafenau
Kopfbild, Foto: Freudenstein