Forschungs- und Innovationsprojekt
Schonendes Veröden der Hornanlage bei Kälbern
Hornlosigkeit hat in der modernen Rinderhaltung eine große Bedeutung. Tierfreundliche Laufställe bieten Färsen, Bullen und Kühen Bewegungsfreiheit und die Möglichkeit, sich artgerecht zu verhalten. Das bedeutet aber auch eine größere Verletzungsgefahr für die Landwirte sowie für die Tiere selbst. Ernste Verletzungen durch Hornstöße sind nicht selten und haben weitreichende Folgen. Wenn vor diesem Hintergrund Tiere enthornt werden sollen, ist das Tierschutzgesetz zu beachten. Eine praktikable Methode des Verödens der Hornanlage bei jungen Kälbern, die die Schmerzen und den Stress deutlich reduziert, wurde vom Tiergesundheitsdienst Bayern e.V. (TGD) vorgestellt und gemeinsam mit der bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft in einer umfangreichen Studie untersucht.
Zielsetzung des Projekts
In einer Vorstudie des TGD wurden verschiedene Behandlungsvarianten von Kälbern beim Enthornen erprobt. Hierbei wurden vielversprechende Erfahrungen gemacht, die in diesem Projekt anhand größerer Tierzahlen und zusätzlich erhobener Einflussfaktoren abgesichert werden sollten. Ziel des Projekts war es, ein praktikables Schmerzmanagement für eine schonende Enthornung verbunden mit einer einfachen Umsetzbarkeit für die Landwirte zu etablieren. Dazu sollten neben der geeigneten Medikation der Tiere auch der geeignete Zeitpunkt, die praktische Umsetzbarkeit und die Handhabung und Eignung verschiedener Enthornungsgeräte geprüft werden.
Versuchsgruppen
- Versuchsgruppe RMVE: Sedierung / Schmerzmittel / Eisspray / Enthornen
- Versuchsgruppe RMV: Sedierung / Schmerzmittel / Enthornen
- Versuchsgruppe RMVLA: Sedierung / Schmerzmittel / Lokalanästhesie / Enthornen
- Versuchsgruppe V: Enthornen (ohne weitere Behandlung)
- Versuchsgruppe RM: Sedierung / Schmerzmittel
- Versuchsgruppe Kontrolle: Kontrollgruppe (ohne Enthornen)
R = Rompun®, M = Metacam®, V = Veröden der Hornanlage, E = Eisspray, LA = Lokalanästhesie
Insgesamt wurden 493 Kälber in sechs verschiedenen Versuchsgruppen untersucht. Das Hauptaugenmerk lag auf den Versuchsgruppen RMVE und RMV, in denen die meisten Kälber enthornt wurden. Der Unterschied zwischen den Gruppen RMVE und RMV bestand einzig in der Anwendung des Eissprays. In der ersten Versuchsphase hat sich jedoch gezeigt, dass der Einsatz des Eissprays nicht uneingeschränkt empfohlen werden kann, weshalb in Versuchsgruppe RMV kein Eisspray eingesetzt wurde. Die Versuchsgruppen RMVLA, V, RM und Kontrolle dienten als Vergleichsgruppen.
Beurteilung der Kälber
Jedes Kalb wurde unabhängig von der Versuchsgruppe nach dem gleichen Bewertungsschema beurteilt. Es wurden verschiedene Gesundheitsparameter (Körpertemperatur, Durchfall etc.), das Trinkverhalten und weitere Verhaltensparameter beurteilt. Zudem wurden von jedem Kalb vier Speichelproben zu verschiedenen Zeitpunkten zur Cortisolbestimmung gewonnen. Die Speichelproben wurden 0,25h vor dem Veröden der Hornanlage, direkt danach (0h) sowie 0,75h und 24h nach dem Veröden genommen. Anhand der Cortisolwerte und der Veränderung der Werte zwischen den Probenahmezeitpunkten sollte das Stresslevel der Kälber in den unterschiedlichen Versuchsgruppen bestimmt werden, um somit Rückschlüsse auf ein tiergerechtes Verfahren ziehen zu können. Zusätzlich wurden bei 15 Tieren Herzfrequenzmessungen und Videobeobachtungen durchgeführt, um weitere Informationen zum Verhalten der Tiere erheben und die Cortisolwerte abgleichen zu können.
Eingesetzte Enthornungsgeräte
Während des Versuchszeitraums wurden unterschiedliche Enthornungsgeräte eingesetzt, um deren Handhabung, Funktionsweise sowie Vor- und Nachteile bei unterschiedlich großen Hornknospen sowie Vorgehensweisen zu erheben. Die Hornknospen der Kälber wurden im Versuch grundsätzlich verödet und nicht herausgehebelt (siehe Foto unter "Veröden der Hornanlage"). Zusätzlich zu den Praxistests wurden die Geräte auch im Hinblick auf ihre Wärmeentwicklung und weitere technische Eigenschaften untersucht. Jedes Gerät wurde entsprechend der Vorgaben aus der Bedienungsanleitung erhitzt und zeitgleich mit einer Wärmebildkamera gefilmt, um die Temperatur erfassen zu können.
Das Hauptaugenmerk der 493 untersuchten Kälber lag auf der Gruppe der sedierten und mit einem Schmerzmittel behandelten Kälber. In der Grafik unten ist der Verlauf der mittleren Cortisolkonzentration der einzelnen Versuchsgruppen dargestellt. Bei allen Versuchsgruppen (außer der Kontrollgruppe) ist ein Anstieg der Cortisolkonzentration vom Zeitpunkt -0,25h zu 0,75h zu erkennen. Das Veröden der Hornanlage verursacht je nach Medikation der Kälber unterschiedlich viel Stress.
Cortisolwerte
Der Cortisolwert der Gruppe V ist zum Zeitpunkt 0,75 h signifikant (α = 0,05) höher als bei allen anderen Gruppen. Auf Grund des sehr unterschiedlichen Niveaus in der Cortisolkonzentration zwischen den Versuchsgruppen (Abbildung 1, Zeitpunkt -0,25h) wurde zusätzlich die Veränderung der Konzentration vom Zeitpunkt -0,25h zu 0,75h untersucht (Tabelle 1). Der Quotient stellt die Veränderung der Cortisolkonzentration dar. Bei Gruppe V erhöhte sich die Cortisolkonzentration um mehr als das Fünffache. Die Quotienten der Gruppen RMVE und RMV unterscheiden sich zwar signifikant untereinander, aber nicht im Vergleich zur Gruppe RMVLA, bei der die Kälber alle zur Verfügung stehenden Medikamente zur Schmerz- und Stresslinderung erhalten haben. Diese Ergebnisse sprechen für die Anwendung einer Sedation und eines Schmerzmittels als einem geeigneten Schmerzmanagement.
Tabelle 1: Quotient der verschiedenen VersuchsgruppenVersuchsgruppe | Anzahl Kälber | Veränderung des mittleren Cortisolwertes von -0,25h zu 0,75h als Quotient |
---|
RMVE | 135 | 1,96 b |
RMV | 126 | 2,95 c |
RMVLA | 26 | 2,20 bc |
V | 36 | 5,26 a |
Kontrolle | 15 | 0,98 d |
Unterschiedliche Buchstaben kennzeichnen signifikante Unterschiede (α = 0,05)
Das Veröden der Hornanlage von sedierten und mit Schmerzmittel behandelten Kälbern ist sowohl für das Kalb als auch für den Enthornenden mit weniger Stress und Verletzungsgefahr verbunden. Der Enthornungsprozess selbst kann auf Grund geringerer Abwehrbewegungen schneller, genauer und dementsprechend für das Kalb schonender erfolgen.
Wichtige Hinweise für die praktische Umsetzung
Bei der Anwendung einer Sedation und eines Schmerzmittels ist darauf zu achten, dass die Wirkzeit der Medikamente eingehalten wird, damit diese die gewünschte Wirkung erzielen können (15 Minuten zwischen Sedation & Schmerzmittelgabe und dem Veröden). Weiterhin sollten je nach Übung nicht mehr als zwei bis drei Kälber vorgespritzt und nacheinander enthornt werden. Die Kälber sollten vor dem Eingriff keinen Stress haben (z. B. durch Umstallen oder Ähnliches), da dann das Sedativum aus Erfahrung nicht die gewünschte Wirkung erzielt und sich die Tiere nicht ablegen. Weiterhin ist die Durchführung von zusätzlichen Managementmaßnahmen (z. B. in den Schatten bzw. in trockenes Stroh legen und vor Witterungseinflüssen schützen, Kälber in Brustlage ablegen etc.) notwendig, da sich die Tiere selbst den Witterungseinflüssen nicht entziehen können und der Kreislauf „heruntergefahren“ ist. Deshalb empfiehlt es sich auch den Eingriff erst ca. 2 Stunden nach bzw. vor der Tränke durchzuführen, um Komplikationen zu vermeiden.
Vorbereitung
Kurz vor dem Veröden der Hornanlage sollte diese geschoren werden. Somit können auch kleine Hornknospen, die noch nicht ertastbar sind, aber durch eine weniger behaarte Stelle gut sichtbar, an der richtigen Stelle verödet werden.
Veröden der Hornanlage
In der vorliegenden Untersuchung wurden die Hornanlagen nicht herausgehebelt, sondern verödet. Deshalb ist es wichtig, nach dem Brennvorgang die vollständige Trennung des Gewebes zu kontrollieren. Es dürfen keine Verbindungen wie z. B. kleine Häutchen oder Ähnliches zwischen der Hornknospe und dem umliegenden Gewebe mehr bestehen, um ein erfolgreiches Verhindern des Hornwachstums gewährleisten zu können.
Auswahl des Enthornungsgerätes
Bei der Auswahl des Enthornungsgerätes sollte darauf geachtet werden, dass eine ausreichend tiefe Aussparung für die Hornknospe vorhanden ist. Hier ist es für den Betriebsleiter entscheidend, zu wissen, zu welchem Zeitpunkt (Lebenswoche der Kälber) das Veröden der Hornanlage auf seinem Betrieb stattfindet, um die richtige Geräteauswahl treffen zu können. So ist der Einsatz von Buddex® und HornUp® (Abb. unten links) für Kälber, die in der 3-ten bis 6-ten Lebenswoche behandelt werden, nicht zu empfehlen. Für die anderen Geräte gibt es unterschiedliche Brennköpfe, die man gegebenenfalls austauschen kann. Jeder Landwirt sollte das Enthornungsgerät nach den eigenen Präferenzen auswählen. Wichtig hierbei ist, die Handgröße, die baulichen Gegebenheiten (Netzbetrieb möglich oder nicht), Anzahl zu behandelnder Tiere an einem Tag, Zeitpunkt der Behandlung usw. zu beachten.
Akkubetriebene Enthornungsgeräte
Netz- / Gasbetriebene Enthornungsgeräte
Empfehlungen
Grundlegend wird empfohlen, das Veröden der Hornanlage in den ersten 14 Lebenstagen durchzuführen. In diesem Alter sind die Hornknospen noch relativ klein und der Eingriff ist dementsprechend weniger invasiv als bei großen Hornknospen. Außerdem befinden sich die Kälber in diesem Alter meist in Einzelhaltung und das Handling und die Kontrolle der Tiere ist leichter durchführbar. Zusätzlich müssen sie sich zu diesem Zeitpunkt nicht mit dem neuen Keimmilieu aus der Gruppenhaltung bzw. Umstellung an einen Tränkeautomaten etc. auseinandersetzen, wodurch eine zusätzliche Belastung des Immunsystems vermieden wird.
Bitte beachten
Die Anwendung einer Sedierung und eines Schmerzmittels beim Veröden der Hornanlage ist seit 2015 in Bayern CC-relevant (siehe auch CC-Broschüre).
Laut Tierschutzgesetz darf das Enthornen bzw. Veröden der Hornanlage nur bei unter 6 Wochen alten Kälbern durchgeführt werden. Sind die Tiere 42 Tage alt bzw. älter, ist das Enthornen nur noch nach tierärztlicher Indikation (z. B. Verletzung am Horn o. ä.) erlaubt, muss unter Betäubung erfolgen und dementsprechend vom Tierarzt durchgeführt werden.
Arbeitsschritte im Detail
Schonendes Veröden der Hornanlage bei Kälbern im Film vorgestellt
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Projektinformation
Projektleitung: Dr. Jan Harms
Projektbearbeitung: Ulrike Bauer
Laufzeit: 2013 - 2016
Finanzierung: StMELF
Projektpartner: TGD-Bayern e.V.
Förderkennzeichen: A/13/30