Forschungs- und Innovationsprojekt
Selektives Trockenstellen in der Milchviehhaltung
RAST – Reduktion des Antibiotikaeinsatzes beim Milchvieh durch Selektives Trockenstellen
In der gesellschaftlichen Diskussion steht der Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung immer stärker im Fokus. Der Verbraucherschutz, die Ausbreitung von multiresistenten Keimen und das Tierwohl werden in diesem Zusammenhang angeführt und kontrovers diskutiert.
2018 wurden insgesamt 722 t Antibiotika an Tierärzte abgegeben, wovon ca. 2 % intramammär angewendet wurden (Wallmann et al. 2019). Ein großer Anteil der intramammären Anwendungen sind in der Milchviehhaltung antibiotische Trockenstellpräparate. Der Einsatz von antibiotischen Trockenstellern dient einerseits zum Therapieren bestehender Infektionen und andererseits zum Schutz vor Neuinfektionen. Das Risiko einer Neuinfektion wird meist als hoch eingeschätzt, wodurch häufig alle Tiere einer Herde zum Trockenstellen antibiotisch behandelt werden, um die Euter- und Tiergesundheit sicherzustellen.
Eine Alternative, den Antibiotikaeinsatz in der Milchviehhaltung zu reduzieren, kann unter bestimmten betrieblichen Voraussetzungen das Selektive Trockenstellen darstellen, bei dem versucht wird, das Risiko tierindividuell besser abzuschätzen und zu minimieren.
Zielsetzung
- Antibiotikareduktion
- Erhalt der Eutergesundheit
- Etablierung eines praxistauglichen Verfahrens
Wissenschaftlicher Hintergrund
Kurzzusammenfassung: Ergebnisse anderer Studien
Einige Studien der letzten Jahre zum Selektiven Trockenstellen auf Kuh/Euter- oder Viertelebene legen dar, dass durch die Anwendung des Verfahrens der Einsatz von Antibiotika reduziert werden kann, jedoch gleichzeitig negative Auswirkungen auf die Eutergesundheit festzustellen sind.
Dabei wurden auf Grundlage einzelner unterschiedlicher Kriterien wie Zellzahlen oder Befunde mikrobiologischer Untersuchungen die Entscheidung der Trockenstellbehandlung gefällt und kein komplexerer Entscheidungsbaum zugrunde gelegt.
Entscheidungsebene: Viertel-/Euterebene
Es gibt zwei Selektionsebenen. Die Entscheidung auf Euterebene bedeutet, dass alle Viertel gleich behandelt werden, d. h. beim Trockenstellen werden entweder alle vier Viertel antibiotisch behandelt oder nicht. Erfolgt die Entscheidung viertelindividuell, so wird für jedes Viertel einzeln entschieden, ob auf einen antibiotischen Trockensteller verzichtet werden kann oder nicht.
Aufgrund der Abhängigkeit der vier Euterviertel voneinander, sollten bei einem infizierten Viertel alle vier Viertel behandelt werden (Berry & Hillerton, 2002, Berry et al. 2003, Robert et al. 2006, Robert et al 2008).
Warum Antibiotika zum Trockenstellen?
Der Einsatz von Antibiotika in der Zeit, in der die Kuh "trocken steht", bietet sich an, um bestehende bakterielle Entzündungen ausheilen zu können. Gleichzeitig besteht zu Beginn und auch zum Ende der in der Regel sechs- bis achtwöchigen Trockenstehzeit ein erhöhtes Risiko für bakterielle Euterentzündungen. Mithilfe von antibiotischen "Trockenstellern" soll das Risiko einer Erkrankung der Tiere minimiert werden. Der Einsatz von antimikrobiellen Wirkstoffen zum Trockenstellen ist nicht die einzige Möglichkeit das Neuinfektionsrisiko zu minimieren. Neben einem optimalen Management rund um die Trockenperiode ist auch der Einsatz eines internen Zitzenversieglers zu empfehlen.
Projekt RAST
Im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts mit dem Tiergesundheitsdienst Bayern e. V. (TGD) und der Ludwigs-Maximilian-Universität München, Klinik für Wiederkäuer (LMU) wurde untersucht, ob mit einem kontrollierten Verfahren zum Selektiven Trockenstellen der Antibiotikaeinsatz in der Milchviehhaltung unter Praxisbedingungen ohne Verschlechterung der Eutergesundheit reduziert und wie dieses Verfahren in der Praxis umgesetzt werden kann. Im Rahmen des Projekts erstellte Frau Katharina Schmon ihre Dissertation mit dem Titel "Untersuchungen zur Implementierung eines kontrollierten Verfahrens zum Selektiven Trockenstellen in bayerischen Milchviehbetrieben", welche 2019 veröffentlicht wurde.
Für das Projekt wurden 18 Projektbetriebe, verteilt in ganz Bayern, ausgewählt. Diese mussten verschiedene Anforderungen an die betrieblichen und eutergesundheitlichen Voraussetzungen, aber auch hinsichtlich der persönlichen Eignung der Betriebsleiter und Betriebsleiterinnen, erfüllen. Eine entscheidende Voraussetzung waren der Eutergesundheitsstatus und die Freiheit des Bestands von bestimmten Erregern auf Herdenebene. Für die Ermittlung des Erregerstatus erfolgten Bestandsuntersuchungen. Dabei wurde bei jeder Kuh ein Schalmtest durchgeführt und anschließend Viertelanfangsgemelksproben gezogen, welche im Labor mikrobiologisch untersucht wurden. Das Ergebnis der Bestandsuntersuchung liefert einen Überblick über die Erregersituation und war damit auch die Entscheidungsgrundlage, ob der Betrieb für das Verfahren des Selektiven Trockenstellens geeignet war.
Nach einem Betriebsbesuch, bei dem unter anderem das Trockenstellmanagement im Rahmen des Projekts ausführlich mit den Betriebsleitern besprochen wurde, stellten die Betriebe auf das Selektive Trockenstellen um. Für die Trockenstellentscheidung stand der im Rahmen des Projekts erarbeitete Entscheidungsbaum im Mittelpunkt. Mithilfe dieses dreistufigen Entscheidungsbaums wurde geklärt, ob bei der trockenzustellenden Kuh auf einen antibiotischen Trockensteller verzichtet werden kann und gegebenenfalls ein Zitzenversiegler appliziert werden soll. Dabei wurde anhand der Zellzahlen der letzten drei Milchleistungsprüfungen und der Mastitishistorie, den Ergebnissen aus der mikrobiologischen Untersuchung 14 Tage vor dem Trockenstellen und des Schalmtests am Tag des Trockenstellens die Entscheidung gefällt. Die konkrete Vorgehensweise und die Auswahl des Präparats erfolgten in Absprache mit dem Hoftierarzt.
Ausgewertet wurden zum einen Ergebnisse der Milchleistungsprüfung und Befunde der mikrobiologischen Untersuchungen [Bestandsuntersuchungen (Screening), 5 Proben je Trockenstellvorgang pro Kuh] und zum anderen Landwirtsaufzeichnungen zur Anwendung von Trockenstellpräparaten und zum Auftreten von Mastitiden. Die Landwirte wurden während des Projekts intensiv betreut und in Interviews befragt.
Die Ergebnisse des Projekts legen dar, dass das Selektive Trockenstellen bei gleichbleibender Eutergesundheit möglich ist. Rund 40 % der Kühe konnten ohne antibiotisches Präparat trockengestellt werden, wobei das Einsparpotential auf Betriebsebene je nach Ausgangssituation und unter strikter Einhaltung des Entscheidungsbaums insgesamt eine Streuung von 23 bis 62 % hatte.
Projekt RAST-Transfer
Methode und Vorgehen beim Selektiven Trockenstellen
Stufe 0: Voraussetzungen auf Herdenebene
Stufe 1: Einzeltierbetrachtung vor dem Trockenstellen – Zellzahlen der letzten 3 Milchleistungsprüfungen (MLP) und Mastitishistorie aus der vorangegangen Laktation
Stufe 2: Einzeltierbetrachtung vor dem Trockenstellen – Mikrobiologische Untersuchung von Viertelanfangsgemelksproben, ca. 14 Tage vor dem geplanten Trockenstelltermin
Stufe 3: Einzeltierbetrachtung vor dem Trockenstellen – Schalmtest am Tag des Trockenstellens
Arbeitsabläufe rund um das Trockenstellen – Standardvorgehen RAST
Ergebnisse
Dissertation Schmon, K. (2019)
Mögliche Behandlung der Tiere:
- mit antibiotischem Trockensteller
- mit internem Zitzenversiegler (TS und ITS)
- ohne internem Zitzenversiegler (TS)
- ohne antibiotischem Trockensteller
- mit internem Zitzenversiegler (ITS)
- ohne alles
- Keine signifikanten Unterschiede in den Neuinfektions- und Heilungsraten (sowohl mikrobiologisch als auch zytologisch) zwischen den Gruppen "mit Antibiotikum" und "ohne Antibiotikum"
- Ohne Antibiotikum und mit ITS
- Mikrobiologische Neuinfektionsrisiko niedriger als "ohne alles"
- Mikrobiologische Heilungsrate niedriger als "ohne alles"
- Geringeres Mastitisrisiko (klinisch) bis 60 DIM als "ohne alles"
- Mit Antibiotikum und ITS
- Zytologische Heilungsrate tendenziell höher als nur "AB"
- Geringeres Mastitisrisiko (klinisch) bis 60 DIM als nur "AB"
- Zellgehalt (Herde) im ersten Probemelken p.p. niedriger als nur "AB"
Betriebsebene:
- Tagesfett- und Tageseiweißmengenleistung:
- im zweiten Zeitraum signifikant höher
- keine signifikanten Veränderungen in Bezug auf:
- Mastitis
- Herdensammelmilchzellzahl
- Neuinfektionsrate und Heilungsrate gemäß DLQ
- Tagesmilchmengenleistung
Weitere Ergebnisse aus den Projekten
Voraussetzungen auf Herdenebene
Sinnvolle Arbeitsabläufe
Erfahrungen
Aufwand
- Zusätzlicher Kostenaufwand (Bestandsuntersuchung, mikrobiologische Untersuchung, evtl. zusätzliche Anwendung von Zitzenversieglern)
- Herdenmanagementprogramm / Alternativen für übersichtliche Dokumentation und Auswertung
- Gewissenhaftes Management rund um das Trockenstellen (Dokumentation, Haltung Fütterung <-> Erfolgskontrolle)
- Intensive Zusammenarbeit mit und Betreuung durch Hoftierarzt
- Besprechen der Befunde (Bestandsuntersuchung, BU-Ergebnisse)
- Erarbeiten eines betriebsindividuellen Konzepts
- Für jedes Tier muss eine Entscheidung getroffen werden
Nutzen
- Einsparung von Antibiotika
- Besserer Überblick über Erreger auf Herden- und Einzeltierebene
- gezielteres und schnelleres Eingreifen bei Mastitiden
- bessere Tierbeobachtung
- Mehr hemmstofffreie Milch
- Kälberfütterung
- weniger Kannenmilch (Arbeitsaufwand, Molkerei, …)
- gutes Gefühl, da man dem Druck der Öffentlichkeit zur Antibiotikareduktion gerecht wird
- intensiverer Umgang mit eigenen LKV-Daten
Wichtige Punkte für eine erfolgreiche Umsetzung
Veranstaltungen
Aktuell
Rückblicke
Veranstaltungen der LfL
Veröffentlichungen
Projektinformation RAST
Projektleitung: Dr. Jan Harms
Projektbearbeitung: Melanie Jakob, Tanja Sonnewald-Daum, TGD – Reglindis Huber-Schlenstedt, LMU – Prof. Rolf Mansfeld, Katharina Schmon
Partnerorganisationen im Projekt "RAST": LMU-München, Tierärztliche Fakultät, Klinik für Wiederkäuer, Tiergesundheitsdienst Bayern e.V. (TGD)
Laufzeit: 2015 bis 2018
Finanzierung: StMELF
Förderkennzeichen: A/15/04
Projektinformation RAST-Transfer
Projektleitung: Dr. Jan Harms
Projektbearbeitung: Samira Dietze, Melanie Jakob, Tanja Sonnewald-Daum
Laufzeit: 2018 bis 2021
Finanzierung: StMELF
Förderkennzeichen: A/18/14
Arbeitsschwerpunkt der LfL
Tierwohl
Die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft hat im Jahr 2012 den Arbeitsschwerpunkt Tierwohl – "Gesunde Tiere für sichere Lebensmittel" gegründet. Wir wollen damit die Lebensbedingungen der landwirtschaftlichen Nutztiere durch Forschung, Entwicklung und Wissenstransfer auf den Gebieten Gesundheit, Auslebung tiergerechten Verhaltens und Wohlbefinden der Tiere verbessern. Mehr
Pro Gesund – Rindermonitoring in Bayern
Mit der Teilnahme am Gesundheitsmonitoring Pro Gesund erhält jeder Milchviehhalter einen genauen Überblick über den Gesundheitsstatus seiner Herde und über die möglichen Schwachstellen im eigenen Betrieb. So können Problemtiere des Bestandes bereits frühzeitig erkannt werden. Mit Hilfe der Auswertungen von Diagnosedaten, die vom Hoftierarzt erfasst wurden, können gemeinsam mit dem Tierarzt Strategien zur Vermeidung von z.B. Eutergesundheits- oder Fruchtbarkeitsproblemen entwickelt und dadurch langfristig Kosten vermieden werden. Mehr